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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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Rory. Ich kenne mich damit so gut wie gar nicht aus.« Harry Banks sandte ein Lächeln in die Tischrunde. »Aber wenn Sie alle diese kleinen, langweiligen Sachen erwähnen, frage ich mich: warum sich mit ihnen abfinden? Warum tun, was alle von einem erwarten? Von wem wird man denn beobachtet?«
    Hughes lachte laut auf.
    Dolly stimmte in sein Gelächter ein. »Sie brauchen sich bloß umzusehen.« Sie machte eine Handbewegung, die den ganzen Raum umfasste. »Von allen.«
     
    Das Essen war zu Ende. Harry Banks ging ein bisschen Luft schnappen, während Rory den Kellner wegen der Rechnung auf sich aufmerksam zu machen versuchte. Nick hatte sich entschuldigt und war zur Toilette gegangen. Als sie nicht wiederkam, machte sich Hughes auf die Suche nach ihr. Draußen vor dem Club war es genauso warm wie drinnen, aber die Luft war weicher. Neben dem großen lackierten Anker in der Mitte der Hauptterrasse trank ein Pärchen seinen Wein. Hughes ging auf den Anlegesteg hinaus. Im Dunkeln machte er die Umrisse zweier Menschen aus, die die Köpfe zusammensteckten. Er erkannte Nicks Körper, ihre Körperhaltung. Sie lehnte locker an der Seitenwand, und Harry Banks neigte sich zu ihr, eine Hand auf der Holzverschalung.
    Harry sagte gerade etwas, was Hughes nicht verstand, und Nick lachte. Harry kam ihr noch näher. Nick bewegte sich nicht. Es versetzte Hughes einen Stich. Dabei war er nicht einmal überrascht. Es war das Gefühl, dafür verantwortlich zu sein, sie dazu gezwungen zu haben, bei fremden Männern in dunklen Ecken Intimität zu suchen, obwohl sie ganz anderes verdient hatte. Sie war zu gut für so etwas.
    »Nick«, rief er leise.
    Sie blickte ihn an und wandte sich wieder Harry zu.
    Hughes blieb noch ein paar Sekunden, dann ging er wieder hinein und wartete darauf, dass seine Frau zurückkam.
     
    Auf dem Heimweg berührte er Nick nicht, obwohl sie unbekümmert neben ihm herging – so nah, dass er ihre Seife riechen konnte, irgendetwas Blumiges, mit Schweiß vermischt. Ihre Absätze klackten auf dem Straßenbelag. Er schob die Hände in die Taschen. In der Simpson’s Lane blieb Nick stehen und pflückte eine Rose, die über einen Lattenzaun hing.
    Beim Einbiegen in die North Summer Street sah Hughes den tief am Himmel hängenden roten Mond. Es lag an der Hitze, dass er so verfärbt war, es hatte irgendetwas mit der Atmosphäre zu tun. Er wusste nicht mehr genau, was, aber der alte Spruch fiel ihm ein: »Roter Himmel in der Nacht, Seemann lacht. Roter Himmel am Morgen, Seemann hat Sorgen.«
    An der Zufahrtsstraße stolperte Nick. Ihr Absatz blieb hängen, als sie vom Randstein hinuntertrat, und sie fiel leicht gegen Hughes. Er griff instinktiv nach ihr, um sie aufzufangen, spürte ihren Körper an seinem Körper und ihre Brust in seiner offenen Hand.
    »Nick«, sagte er.
    »Entschuldige, Schatz, ich glaube, ich bin ein bisschen tapsig von den Martinis.«
    »Die Martinis interessieren mich nicht.«
    »Ach?« Sie ging weiter und versuchte sich aus seinem Griff zu befreien.
    »Bleib stehen!«, sagte er.
    »Was ist denn?«
    »Ich will mit dir reden.« Er hielt sie immer noch fest.
    »Lass mich los, sonst komme ich noch aus dem Gleichgewicht.«
    Hughes drehte sie zu sich um.
    »Hughes.« Sie wich seinem Blick aus.
    »Schau mich an!«
    »Hör auf!« Sie hob die Hand, um ihn wegzuschubsen. Er fing den Stoß auf und spürte, wie die Rose, die sie noch in der Hand hielt, unter dem Druck seines Griffs knickte.
    »Nick.«
    »Dann sag, was du zu sagen hast …«
    »Es tut mir leid.«
    »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    »Aber ich weiß, was ich meine. Ich möchte mich entschuldigen. Für alles.«
    »Ist mir egal.«
    »Das glaube ich dir nicht.«
    »Doch.«
    Sie sahen einander an, und Hughes war überzeugt, dass sie gleich den Widerstand aufgeben und ihn an sich heranlassen würde. Er spürte, dass sie kurz davor war. Er wartete, aber sie schwieg.
    Da hielt er es nicht mehr aus. »Es reicht«, sagte er und drückte ihr seinen Mund auf die Lippen. Ihr Mund öffnete sich unter seinem. »Es reicht jetzt«, flüsterte er in die Dunkelheit hinein.
    Doch genauso plötzlich, wie sie nachgegeben hatte, befreite sie sich, lief davon, entglitt seinem Griff wie Wasser.

Juli 1959
    IV
    A m nächsten Morgen erwachte Hughes mit Kopfschmerzen, doch voller Entschlossenheit. Nick war trotz der frühen Stunde bereits aufgestanden. Er zog die Schlafanzughose aus, warf sich in seinen Bademantel und machte sich auf den Weg zur Außendusche.
    Das

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