Zeit der Raubtiere
würde ja gern helfen, aber – nein.«
»Vielleicht wissen Sie etwas über das Privatleben von Mr. Wilcox, das wir nicht wissen. Auch wenn es nur Kleinigkeiten sind. Oder es gibt etwas, das Sie uns über Ihren Neffen erzählen wollen.«
Hughes schwieg. Er würde sich ganz bestimmt nicht weiter in diesen Schlamassel mit hineinziehen lassen als unbedingt nötig.
»Wissen Sie, Mr. Derringer, eine Gemeinde ist wie eine Familie. Und ›Familie‹ wird, wie ich vorhin sagte, von jedem anders definiert. Aber meine Einstellung dazu ist wie folgt: Wenn jemand in meiner Familie etwas wirklich Schlimmes tut, hat es keinen Sinn, es zu verbergen. Das macht das Ganze nur noch schwieriger für alle.«
»Ich würde Ihnen wirklich gern helfen.«
»Na gut.«
Hughes machte Anstalten zu gehen, doch dann blieb er sitzen. Er wusste, dass er nicht noch mehr sagen sollte, aber er konnte sich nicht zurückhalten. »Und ihre Freunde oder Verwandten – die von dem Mädchen meine ich, dieser Elena Nunes –, die hatten zu der ganzen Sache nichts zu sagen?«
»Nein. Wir haben nichts aus ihnen herausbekommen.«
»Ist wohl eine verschwiegene Gemeinschaft.«
»Eine verschwiegene Gemeinschaft.« Diesmal begann der Sheriff lauthals zu lachen. »Welche meinen Sie denn jetzt?«
Hughes flüchtete in den heißen Nachmittag hinaus. Seine Nerven lagen blank. Mit der Information über Frank hätte er sofort nach dem Auffinden des toten Mädchens zum Sheriff gehen sollen, das sah er jetzt ein. Aber er war so verwirrt gewesen. Auf jeden Fall hatte Frank offenbar ein Alibi. Das hatte der Sheriff gesagt. Hughes wusste nicht, ob er das glauben sollte. Sheriff Mello glaubte es ganz bestimmt nicht.
Er dachte über den Sheriff nach. Er hatte ihn schon als kleinen Jungen gekannt, als Rick Mello noch im Supermarkt die Einkäufe der Kunden in Tüten packte. Trotzdem hatte der Mann ihm ein schlechtes Gewissen gemacht. Dabei war es nicht seine Schuld, dass die Polizei in Sachen Frank Wilcox keinen Finger gerührt hatte. Selbst wenn er die beiden zu den Tennisplätzen hatte gehen sehen, bewies das noch gar nichts. Und wenn Etta bereit war, für ihren Mann einzustehen … Und Ed. Der hatte das Ganze so dargestellt, als wären sie gemeinsam durch die Landschaft gewandert. Hatte er wirklich helfen wollen und einfach übertrieben? Nein, Hughes spürte genau, dass der Junge daneben war, schwer daneben. Selbst der Sheriff schien in Bezug auf ihn seine Zweifel zu haben. Hughes dachte an die Maus mit dem Zahnstocher im Kopf. Er brauchte jetzt etwas zu trinken.
Im Lesezimmer schüttete er ein paar schnelle Gin Tonics in sich hinein und machte sich dann auf den Heimweg. Die Sonne stand noch als Ganzes über dem Horizont und bespannte den Himmel mit knallig rosaroten, wie von Kinderfingern gemalten Streifen.
Als er sich dem Haus näherte, sah er Nick, noch immer in Badeanzug und Shorts, auf der Veranda stehen. Sie beugte sich zu einem Jungen hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Das Haar des Jungen wirkte beinahe grotesk, es stand ab, als hätte man es mit Maisstärke versteift. Irgendein Freund von Daisy, nahm er an, und lächelte über den Ausdruck der Bewunderung auf dem nach oben gewandten Gesicht. Er wusste, wie sich der Knabe fühlte.
Weil er für die zu erwartende Befragung noch nicht bereit war, ging Hughes zur Hintertür und ins obere Stockwerk hinauf. Nachdem er geduscht und sich rasiert hatte, wappnete er sich innerlich und machte sich auf die Suche nach Nick und Helena, die gerade ihre Cocktails tranken.
»Hallo, Liebling«, sagte Nick. »Wie war es bei Sheriff Mello?«
Helena hob den Blick. Ihre sanften Augen sahen ihn erwartungsvoll an. Und besorgt, stellte er fest.
»Alles bestens«, sagte Hughes und ging zur Bar.
»Und?«, fragte Nick. »Nun zier dich nicht so. Was hat er gesagt?«
»Nichts.« Hughes ließ drei Eiswürfel in ein Lowballglas fallen.
»Was soll das heißen, nichts? Du warst fast zwei Stunden weg.«
»Also, Ed hat nichts gesehen und weiß auch nichts«, sagte Hughes. »Der Sheriff wollte ihm nur eine Freude machen, ihn Detektiv spielen lassen oder so.«
Helena legte den Kopf an die Lehne des Armsessels. Sie wirkte erleichtert.
»Dann ist also alles in Ordnung«, sagte Nick, und ihre Stimme holte ihn ins Wohnzimmer zurück.
»Ja«, sagte Hughes. »Es ist alles in bester Ordnung.«
August 1959
J e näher die Party rückte, umso mehr verlor sich Nick in Details wie japanischen Lampions, Silberpolitur und weißen
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