Zeit der Raubtiere
beides so sauber ist.«
Die Käfer surrten in der Hitze. Hughes hörte die Möwen hinter sich in den Dünen, wo sie ihre Nester bauten. Es war erst elf Uhr morgens, und er merkte, dass er nicht gefrühstückt hatte. Der Wein machte ihn schläfrig. Dann träumte er von einem Rennen zwischen einem weißen und einem schwarzen Pferd, und das schwarze gewann, was ihn im Traum freute. Es hatte große Nüstern und einen geflochtenen Schwanz, den es hochhielt, während es lief. Er feuerte es an. Er spürte, dass sich Nick neben ihm bewegte, und riss sich aus dem Schlaf.
Sie saß aufrecht da und sah aufs Meer hinaus.
Hughes folgte ihrem Blick. Eine Zeitlang saßen sie schweigend nebeneinander. Und dann wusste er: Genau jetzt war der Augenblick. Er atmete tief durch und sprang.
»Ich habe dir einmal einen Brief geschrieben«, sagte er. »Ich glaube, es war der größte Fehler meines Lebens, ihn nie abzuschicken.«
Nick sah ihn nicht an. »Was stand drin?«
»Eine ganze Menge.« Er schüttelte den Kopf. Auf der anderen Seite der Meerenge bestückte ein Angler seinen Haken mit einem Köder. »Dinge, die ich dir wahrscheinlich schon vor langer Zeit hätte sagen sollen.«
Nick schwieg.
»Ich weiß auch nicht, warum alles so … so durcheinandergeraten ist. Warum alles so vergangen ist.«
»Ach, Hughes.« Nick sah in den Himmel und atmete laut aus. »Weil eben alles vergeht. Das weiß jeder, der auch nur ein bisschen gelebt hat. Es verschwindet eben alles.« Sie klang unendlich traurig.
»In diesem Brief habe ich geschrieben, dass ich dich liebe. Seit – ach, ich weiß nicht, wie lange schon. Vielleicht sogar, seit ich dich zum ersten Mal sah.«
»Ich kann nicht … Ich weiß nicht, warum du jetzt damit anfängst.«
»Hör mir zu, Nick …«
»Mein Gott, du bist wirklich ein kleines Kind.« Nick sah ihn mit blitzenden Augen an. »Du glaubst, du musst nur mit dem Finger schnippen und mir sagen, dass du mich liebst, und schon zauberst du ein Happy End für uns herbei?«
»Ich weiß nicht«, sagte Hughes. »Ich wüsste nicht, wie ich es anders machen sollte. Weißt du es? Sag mir doch, wie man sich ein Happy End beschafft!«
Sie musterte ihn eine Weile. »Du bist die ganze Zeit …« Sie schüttelte den Kopf und wandte den Blick ab.
»Sag’s mir!«
Als sie sich wieder zu ihm drehte, hatte sie feuchte Augen. »Du bist die ganze Zeit wie ein Schlafwandler durch unser Leben gestapft. Hältst du mich für blöd? Du redest von Briefen. Und was ist mit ›Die Welt steht nicht mehr in Flammen, Hughes‹ und ›Komm zu mir zurück, Hughes‹? Was ist mit Claridge’s, Zimmer 201?« Sie zitterte. »Du hättest mich lieben sollen, stattdessen hast du alles, ich weiß auch nicht – du hast alles ausradiert. Du hast mein Leben grau gemacht.«
Merkwürdigerweise überraschte es ihn nicht, dass sie es wusste. Vielleicht hatte Ed es ihr erzählt, oder sie hatte die Briefe selbst gefunden. Es war ihm zwar schleierhaft, wie sie das mit dem Zimmer erfahren hatte, aber es spielte jetzt keine Rolle mehr.
»Ja«, sagte er. »Ja, das alles habe ich getan, und du hast jeden Grund, mich zu hassen. Und wenn du mich hasst, wenn du mich wirklich nicht mehr lieben kannst, dann gehe ich. Oder ich bleibe. Was immer du willst.« Er hörte abrupt auf zu sprechen.
Sie betrachtete sein Gesicht. Ihrem hatten die Tränen die harte Schönheit genommen, und er entdeckte jetzt etwas anderes darin, eine Art zögerliche Sehnsucht.
»Lass mich nicht allein, Nick.«
Sie blieb stumm. Nach einigen Sekunden sagte sie: »Fahr zur Hölle, Hughes.« Aber sie sagte es sanft.
Und dann umfing sie seinen Hinterkopf mit der Hand und strich seinen Nacken hinunter. Sie war nah bei ihm. Er roch den Wein in ihrem Atem und spürte die Wärme ihrer nackten Schultern, als er sie dort berührte, dann den Sand auf ihnen und die blendende Sonne und den Blitz, mit dem ihre und seine Haut aufeinandertrafen.
»Sag mir, dass du mich liebst«, bat er in sie hinein. »Dann kann ich alles wiedergutmachen. Ich schwöre bei Gott, ich mache alles wieder gut.«
»Ich liebe dich«, flüsterte sie. »Du wirst nie wissen, wie sehr. Aber ich weiß nicht, ob du es wiedergutmachen kannst.«
Dann sagte sie noch etwas, aber er verstand es nicht. Er hörte nur noch das Blut in seinen Ohren rauschen. Er spürte, wie der Puls in ihrem Hals schneller wurde, heftig wie sein eigener Atem. Und sie bewegte sich unter ihm, mit abgewandtem Gesicht. Und dann sah er nicht mehr hin. Er war
Weitere Kostenlose Bücher