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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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sehr nett von dir, Ed zu meiner kleinen Feier mitzubringen.«
    »Es war mir ein Vergnügen«, erwiderte er, was es ganz eindeutig nicht gewesen war. »Nick wusste, wie sehr du dich darüber freuen würdest.« Und mich fragte er: »Wie war das noch gleich? Iowa? Hausfrauen und Hoover-Geräte?«
    An dieser Stelle musste ich mir wirklich ein Grinsen verkneifen. Wenn der wüsste! »Ja«, sagte ich, »genau, Hausfrauen und Hoover-Geräte.« Ich versuchte mir vorzustellen, wie er mit einer Plastiktüte über dem Kopf aussähe, und fragte mich, ob da irgendetwas an die Oberfläche käme oder ob er nur einen blöden letzten Atemzug machen würde und es das dann gewesen wäre.
    Als Tante Nick den Raum betrat, richtete sich sein Blick magnetisch auf sie. Als Erstes sah er zu, wie sich ihre Beine bewegten. Dann, wie sich ihre Brüste bewegten. Aber am meisten hing er an ihrem Gesicht.
    Sie sagte irgendetwas von wegen, wie sehr sie solche Festessen hasse, was nicht stimmte, und Tylers ganzer Körper schwang mit ihren Worten mit. Hände im Haar, langsam breiter werdendes Grinsen, seine Hüfte in ihrer Richtung.
    »Also, ich bin auf Nicks Seite«, sagte er.
    Daisy sah ihn mit schmalen Augen an. Am besten wäre es gewesen, man hätte Daisy irgendwie dazu gebracht, ihn zu hassen. Aber dafür war es zu spät.
    Als sich alle an den Tisch setzen sollten, ging Tante Nick in die Küche, und Tyler folgte ihr und bot seine Hilfe beim Auftragen an. Ich blieb zurück und tat, als würde ich etwas Interessantes auf der Veranda betrachten. In Wirklichkeit schlich ich mich durch die Eingangshalle zur Sommerküche, wobei ich darauf achtete, nicht vom Speisezimmer aus gesehen zu werden.
    »Ich habe eine gute Band für den Hochzeitsempfang aufgetrieben«, verkündete Tante Nick.
    »Prima«, sagte Tyler. »Ich will nämlich mit dir tanzen.«
    »Tyler …«
    »Nick!«
    »Es muss jetzt wirklich aufhören!« Es klang ernst gemeint, das muss ich fairerweise sagen.
    »Ich hab’s ja versucht.« Er klang schon wesentlich weniger überzeugend.
    »Es ist grausam, Tyler, und ich mache da nicht mit.« Sie hatte die Stimme zu einem heiseren Flüstern gesenkt.
    Einige Sekunden lang blieb es still. Dann sagte Tante Nick mit ihrer normalen Stimme: »So, mein Lieber, wenn du das hier bitte rausträgst.«
    Ich rührte mich nicht, und Tyler fuhr ein bisschen zusammen, als er mich an der Wand vor der Küchentür lehnen sah.
    »O Gott!«, fauchte er, eilte aber ohne ein weiteres Wort ins Speisezimmer.
    Ich ging ihm nach. Auf dem Tisch standen rosarote Blumen, und meine Mutter saß am Kopfende und trug eine abartige Papierkrone, mit der sie idiotisch und ehrlich gesagt ein bisschen gruselig aussah.
    Ich setzte mich neben Daisy. Ich sah in ihr Gesicht, in ihre glänzenden Augen, auf ihre kleinen nackten Füße unter dem Tisch, und ein seltsamer Schmerz fuhr mir durch den Magen. Es erinnerte mich an die Wampanoag-Pfeilspitze, die ich in dem Sommer gefunden hatte, in dem Frank Wilcox Elena Nunes umbrachte. Ich hatte gerade bei den Pfadfindern angefangen, und wir hatten den ganzen Vormittag auf den Gay-Head-Klippen Kaninchen enthäutet und dann ein bisschen gebuddelt. Dabei hatte ich die Pfeilspitze gefunden. Ich hatte sie Daisy geschenkt und zugesehen, wie sie sie herumdrehte und mit dem Daumen über die rauhe Oberfläche strich. Damals hatte ich genau denselben Schmerz verspürt, ganz dicht über dem Magen, und mir war unbehaglich zumute gewesen. Deshalb hatte ich ihr von den Kaninchen erzählt, und sie hatte sich in die Toilette übergeben.
    »Ihr glaubt nicht, wen ich auf dem Hofmarkt gesehen habe«, sagte Tante Nick. »Diesen Widerling Frank Wilcox.«
    In diesem Moment überkam mich das Gefühl, mein Gehirn würde aussetzen. Hatte Tante Nick meine Gedanken gelesen, oder hatte ich mir die Bemerkung nur eingebildet? Seinen Namen aus dem Mund eines anderen zu hören raubte mir sekundenlang den Atem. Ich konnte nicht fassen, dass er für irgendwen sonst etwas Wirkliches war.
    »Ich wusste nicht, dass der immer noch hier ist«, sagte ich, obwohl ich am liebsten tausend Fragen gestellt hätte. Onkel Hughes – aber das spürte ich eher, als dass ich es sah – warf mir einen flackernden Blick zu.
    »Ich auch nicht«, erwiderte Tante Nick. »Aber er war da, und zwar höchstpersönlich. Komisch, irgendwie hat es mich wütend gemacht.«
    »Ich habe schon seit Ewigkeiten nicht mehr an das alles gedacht«, sagte Daisy.
    Ich dachte ständig daran. Diese Nacht vor acht Jahren.

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