Zeit der Raubtiere
Haus patrouilliert war. Da musste ich grinsen. Ich wollte Franks Adresse im Telefonbuch nachsehen und war schon auf dem Weg zu Onkel Hughes’ Arbeitszimmer, als ich die beiden flüstern hörte.
Sie saßen im blauen Salon, dem einzigen Zugang zum Arbeitszimmer. Ich musste vor der Tür stehen bleiben.
»Ich habe es dir doch gesagt«, sagte Tante Nick.
»Ich weiß, was du gesagt hast, aber du hast es nicht so gemeint. Du willst etwas anderes. Wir sind Seelenverwandte, das kannst du nicht länger leugnen.«
Unten brannte kein Licht mehr, ich musste mich vorwärtstasten, um sie sehen zu können. Ich hielt alle meine Gedanken an. Tante Nick hatte sich im Armsessel zurückgelehnt, und Tyler stand dicht bei ihr und hielt sie am Oberarm fest.
»Doch«, sagte Tante Nick, ohne ihn anzusehen.
»Sag bloß nicht, dass dir das hier reicht. Dass es dir jemals gereicht hat. Ich bin nicht blind, Nick.«
»Du musst damit aufhören, Tyler. Tut mir leid, wenn ich einen falschen Eindruck erweckt habe …«
»Oh, mein Gott, ich will dich küssen.«
»Zwing mich nicht dazu, Daisy weh zu tun.« Tante Nicks Stimme klang flehend. »Wenn dir auch nur eine von uns am Herzen liegt …«
»Glaubst du, ich will ihr weh tun? Sie ist nun mal nicht wie wir! Niemand hat Schuld daran, es ist einfach, wie es ist.«
»Doch, es hat jemand Schuld daran«, widersprach Tante Nick heftig. »Ich habe Schuld daran. Oh, Gott, es ist alles meine Schuld!«
Tyler beugte sich zu ihr, um sie zu küssen, aber das sah ich mir nicht mehr an. Ich hatte genug mitbekommen, ich wusste, was los war, nämlich genau das, was mit Tante Nick immer los war.
Es klappte zwar erst am nächsten Abend, aber ich ging tatsächlich zu Frank Wilcox. Seine Adresse hatte ich im Telefonbuch gefunden. Er wohnte in Katama, ich musste mit dem Rad hinfahren. Es war gegen Mitternacht, kein Mond am Himmel und sehr dunkel auf der Straße, aber ich fand das Haus trotzdem.
Es war ein bescheidenes Haus, ein ganzes Stück abseits der Straße, dem Aussehen nach ein Neubau. Er hatte offenbar ziemlich abgewirtschaftet. Ich erkundete das Ganze ein bisschen und fand heraus, dass sich im Erdgeschoss ein einziger großer Raum mit einer dahinterliegenden kleinen Küche befand. Obwohl die Nächte schon kühler wurden, standen die Fenster noch offen. Ich zog mein altes Schweizer Armeemesser hervor, das Onkel Hughes mir geschenkt hatte, und schnitt das Fliegengitter aus dem Rahmen. Dann zog ich meine Docksiders aus und stieg ein.
Der Holzboden war kühl unter meinen Füßen, ich war ruhig und fühlte mich gut. Die Möbel sahen gemietet aus, aber auf dem Kaminsims standen gerahmte Fotos. Eine Hochzeit und ein Urlaub, Mexiko vielleicht. Im Dunkeln war es schwer zu erkennen, aber die Frau wirkte jung. Sie war vielleicht in Daisys Alter.
Es gab zwar nicht viel zu sehen, aber ich machte trotzdem kurz in der Küche halt und schnappte mir eine Mülltüte, nur für den Fall.
Weil die Treppe mit einem Läufer belegt war, konnte ich ohne Probleme geräuschlos hinaufgehen. Oben sah ich mich um. Drei Türen, zwei davon geschlossen. Die eine musste in ein Badezimmer führen, die zweite ins gemeinsame Schlafzimmer. Das Ganze hatte etwas von einer Rätselfrage. Ich presste mein Ohr an die eine Tür und hörte nichts. An der anderen auch nicht. Ich sagte mir, dass die Tür in der Mitte aller Wahrscheinlichkeit nach ins Bad führte, und entschied mich für die ganz hinten.
Ich drehte den gläsernen Knauf, bis der Riegel ganz zurückgeschoben war, und öffnete vorsichtig die Tür. Zum Glück war das Haus neu – keine quietschenden Angeln oder verzogenen Bretter. Aber mir wurde bewusst, dass es dumm gewesen war, spontan einzudringen, ohne es vorher auszukundschaften.
Das Bett stand ziemlich nah an der Tür. Die Frau lag vorn, ihr schwarzes Haar war wie ein Fächer über das Kissen gebreitet. Sie hatte die Hände unter den Kopf geschoben, und unter der Decke lugte eine nackte Schulter hervor. Sie war jung und nicht besonders hübsch. Ich streckte vorsichtig den Arm aus und berührte eine einzelne Strähne. Sie fühlte sich weich wie eine Maus an.
Dann ging ich zur anderen Bettseite und zwirbelte dabei ein bisschen die Mülltüte zwischen den Fingern. Frank lag von seiner Frau abgewandt da, sein Gesicht war zum Fenster gerichtet.
Als ich über ihm stand, sah ich selbst im dämmrigen Licht, wie sehr er gealtert war. Er wirkte zerbrechlich, greisenhaft geradezu. Dünnes, spärliches Haar fiel ihm in die
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