Zeit der Raubtiere
mir hinüber, als wollte er sich meiner Bestätigung versichern. The Doors. Er begann mitzusingen. »C’mon baby, light my fire.« Ich begann mich zu fragen, wie es in seinem Schädel aussah. Zu unser beider Glück waren wir nach der Hälfte des Songs an der Fähre und mussten in aller Eile die Karten kaufen und das Auto hinauffahren.
Bei unserer Ankunft in Tiger House war es fast schon dunkel, und die Scheinwerfer warfen einen Lichtbogen an die Zedernholzverschalung, als wir in die hintere Einfahrt einschwenkten. Ich dachte an die weggewehten Scheunen, die ich vom Lincoln Highway aus gesehen hatte. Tornados. Im Winter und im Vorfrühling hatte es eine ganze Welle von Tornados gegeben, es waren die schlimmsten seit Beginn der Aufzeichnungen gewesen. Sie hatten Läden und Häuser mit sich gerissen, und in der Nähe von Elvira war ein kleines Mädchen umgekommen.
Die Hintertür ging auf, und Daisy erschien.
»Du hast es tatsächlich geschafft!«, rief sie und kam die Treppe herunter. Sie war barfuß. »Gott sei Dank, ich hatte mir schon Sorgen gemacht. Deine Mutter hat heute ausschließlich grässliche Geschenke von mir bekommen – du musst meinen Ruf wiederherstellen, Ed Lewis!«
Sie küsste mich auf die Wange. Es gefiel mir, dass sie nie Parfum trug. Sie roch nach
Ivory
-Seife und nach dem BabyShampoo aus dem Badezimmer im Obergeschoss.
Sie wandte sich an Tyler. Ihr Gesicht war erhitzt und lebendig. »Hallo.«
»Hallo«, sagte er und lächelte zu ihr hinunter.
Ich wartete, während er sie küsste. Ich sah zu, wie sich ihre Münder bewegten. An Daisys Kieferknochen zuckte zart ein Muskel, und ich fragte mich, wie es wohl war, sie zu sein, was sie bei all dem menschlichen Kontakt eigentlich suchte. Andererseits war sie ein sehr zupackender Mensch, einer, der stets vorwärtsdrängte, und mir kam der Gedanke, dass sie vielleicht gar nichts suchte, sondern einfach immer nur sich selbst treu blieb.
Ich dachte an Anna in der Wohnstube in dem kleinen Farmhaus.
»Ich bin so einsam«, hatte sie gesagt und mich gebeten, mit ihr zu tanzen, während auf dem Tisch noch die Abendessensreste standen.
Ich hatte gespürt, wie sich die kleinen Muskeln an ihrem Rücken unter meiner Hand bewegten, während ich sie hielt, aber es war kein Feuer in ihr gewesen, nur Traurigkeit. Zumindest, bis ich ihr die Plastiktüte über den Kopf zog, denn da drängte alles Leben an die Oberfläche, und ihr Gesicht hatte zu leuchten begonnen wie am Unabhängigkeitstag.
Ich dachte gerade darüber nach, ob das, was ich ständig suchte, etwas mit der Suche nach der Essenz der verkörperlichten Seele zu tun haben könnte, als Daisy zu mir sagte: »Ach du lieber Himmel, Ed – bist du immer noch da? Komm, wir müssen rauf zu deiner Mutter!«
Sie hakte sich bei mir unter, und ich ließ mich von ihr ins Haus führen.
»War es eine schöne Fahrt in Tylers suuuupertollem Luxuswagen?« Sie lachte, während sie das Wort in die Länge zog.
Weil mir nicht klar war, was daran lustig sein sollte, sagte ich: »Er sagt, es ist goldfarben, aber es sieht grün aus.«
»Ich weiß.« Sie beugte sich zu mir. »Aber das hast du ihm hoffentlich nicht gesagt. Es macht ihn nämlich wahnsinnig. Sogar Mummy findet, dass der Wagen grün wirkt, dabei ist das Ding für sie das Größte überhaupt.«
»Deine Mutter hat angeblich gesagt, das Auto würde aussehen wie ein Seerosenblatt.«
»Wirklich? Wie poetisch.« Vor der Hintertür blieb sie stehen. »Übrigens ist Mummy gerade ein bisschen außer sich, weil der Engelskuchen verschwunden ist.« Sie kam noch näher, legte die Hand an den Mund und erklärte mit gedämpfter Stimme: »Mummy meint, irgendein Junge aus der Gegend hätte ihn sich geschnappt, aber in Wirklichkeit habe ich gesehen, wie deine Mutter ihn an den Nachbarhund verfüttert hat.« Sie lachte. Klirr, klirr, wie Glas. »Also, komm!«
Kaum hatte ich das Haus betreten, spürte ich es schon. Wie die brennende Lunte einer Bombe. Ich warf einen Blick auf Daisy, um zu sehen, ob sie es auch bemerkte, aber sie war wie immer.
Meiner Erfahrung nach hat jedes Haus seine eigene Atmosphäre, wie ein bestimmtes Parfum, das man beim Hereinkommen riecht. Annas Farm hatte den Geruch von etwas Ausradiertem, Müdem gehabt. Von etwas Ausgelöschtem. Tiger House dagegen roch normalerweise nach gepflegten Dingen, nach Möbelpolitur, Stärke, schlagenden Uhren. Ding, ding, ding, jede Stunde. Aber an diesem Abend hing noch etwas anderes in der Luft, und in meinen Händen
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