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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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begann es zu prickeln, wie immer, wenn etwas Interessantes bevorsteht.
    Als ich ins Zimmer meiner Mutter trat, war ich mir sicher. Sie hatte zwar eine verrückte Frisur, es sah aus wie ein Vogelnest, aber die eigentliche Veränderung bestand in ihrem trottelig wirkenden, angespannten Gesicht.
    Nachdem Daisy gegangen war, tat meine Mutter, als wäre sie mit Schminken beschäftigt. Ich spürte, dass sie etwas auf dem Herzen hatte. Seit ihrem Krankenhausaufenthalt hatte sie diese Art, etwas zu sagen, aber etwas ganz anderes zu meinen. Wahrscheinlich hatten sie ihr das dort beigebracht. Ich hielt es allerdings nicht für ein Zeichen seelischer Gesundheit.
    »Wie geht es dir, Mutter?«
    »Ganz gut«, sagte sie.
    Ich wartete, und als nichts mehr kam, fragte ich sie: »Was ist mit deinen Haaren passiert?«
    »Ich hatte leider einen kleinen Streit mit der Friseuse. Daisy wollte mir eine Freude machen. Ich war wohl heute Vormittag ein bisschen melancholisch gestimmt.«
    Ich registrierte, dass sie ein blaues Kleid trug, aber wirklich ins Auge stachen mir die Tiger darauf. Sie funkelten im Licht. Meine Mutter glättete ihre aufgebauschten Haare und beäugte mich im Spiegel.
    »Hast du Tante Nick schon begrüßt?«
    »Ich habe sie noch nicht gesehen.« Ich dachte an den Kuchen, den meine Mutter dem Hund zum Fraß vorgeworfen hatte.
    »Schön, dass Tyler es geschafft hat, zum Essen zu kommen.« Sie begann mit einem goldenen Röhrchen herumzuhantieren, das sie vom Frisiertisch genommen hatte. »Er versteht sich so gut mit der ganzen Familie, vor allem mit deiner Tante. Obwohl …«
    Es lag etwas in ihrer Stimme, das wachsame Auge, die aufgeladene Atmosphäre im Haus.
    »Obwohl ich zugeben muss, mein Lieber, dass ich mich manchmal frage, ob Daisy das überhaupt recht ist. Er ist ja geradezu vernarrt in Tante Nick.«
    »Ja«, sagte ich. »Er beobachtet sie.«
    »Aber Daisy ist ein so liebes Mädchen, sie würde es nie sagen, wenn sie ein Problem damit hätte.«
    »Was soll das heißen, Mutter?«
    Sie schwieg. Dann drehte sie sich um und sah mich an. Ich dachte: Jetzt kommt es!
    »Ich möchte einfach nicht, dass Daisy verletzt wird, das ist alles. Du doch bestimmt auch nicht.«
    Das war es also. Sie hatte Nick zum Bösewicht erkoren. Darum war es bei der Sache mit dem Kuchen gegangen. Trotzdem fand ich es schön, mitzuerleben, wie meine Mutter versuchte, ihr Leben wenigstens wieder ein bisschen in den Griff zu bekommen. Und vielleicht hatte sie ja recht. Vielleicht war Tante Nick ein Bösewicht. Dass sie kein ehrlicher Mensch war, stand fest. Und seit ich sie kannte, hatte sie Daisy zu beherrschen versucht. Daisy sah es nur nicht, aber das war nicht ihre Schuld. Ich dachte darüber nach, dass Tante Nick Daisy weh tat, und wurde innerlich ganz still.
    »Nein«, sagte ich. »Das würde ich verhindern.«
    »Ja, natürlich«, sagte meine Mutter und zupfte an ihrem Kleid herum. »Aber deine Tante Nick kann sehr stur sein, wenn sie sich im Recht glaubt. Manchmal muss man solche Menschen dazu zwingen einzusehen, wie gefährlich ihr Verhalten sein kann. Weißt du, was ich meine?«
    Ich wusste, was meine Mutter vorhatte. Sie beherrschte dieses Spiel nicht besonders gut. Da war mein Vater schon ein wesentlich besserer Spieler gewesen, und als Kind hatte ich mitangesehen, wie er es immer und immer wieder mit ihr machte. Eine Art Großmeister der Manipulation. Als mir aber klar wurde, dass er nur um Kleingeld spielte, verlor ich, muss ich sagen, jeden Respekt vor ihm. Das Wesen einer toten Schauspielerin begreifbar zu machen lässt sich nicht gerade als Lebenswerk bezeichnen.
    Ich beschloss, mir erst einmal einen Überblick über die Lage zu verschaffen, bevor ich eine Entscheidung hinsichtlich des Problems mit Tante Nick traf. Ich erkannte, dass ich abgelenkt gewesen war und meine Familie nicht genau genug beobachtet hatte. Zum einen sah es ganz danach aus, dass meine Mutter wieder völlig entgleiste. Das war zwar kein großes Problem für mich, konnte aber durchaus eines werden, wenn sie jemanden brauchte, der sich um sie kümmerte. Und wenn Tante Nick die Ursache für den ganzen Ärger war, dann musste die Sache irgendwie geradegerückt werden. Immerhin ging es um meine Mutter.
    Und dann gab es natürlich auch noch Daisy, und die stellte ein weiteres Problem dar.
    Beim Cocktail begann ich mit meinen Nachforschungen. Als Erstes fiel mir auf, dass meine Mutter trank und Tyler so wie immer war.
    »Danke, Tyler«, sagte meine Mutter. »Es war

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