Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
Vom Netzwerk:
Primärtrauma in Verbindung mit der Tatsache, dass es im letzten Krankenhaus zu keinerlei Besserung kam, auf eine Schwächung der Stimmbänder hindeuten. Das ist wie mit seinen Fingern – er wird daran arbeiten müssen, wenn er will, dass sie kräftiger werden.«
    »Soll das heißen, dass die Krankengymnastik nicht anschlägt?«
    »Er ist, um ehrlich zu sein, nicht so zugänglich, wie wir es gern hätten.«
    Meine Mutter geht zu mir herüber. »Du musst dir doch Mühe geben, mein Lieber!«
    Sie hat natürlich völlig recht. Aber es ist sinnlos, weil es einfach niemanden gibt, mit dem ich reden will.
     
    Nachdem Daisy aus ihrem Zimmer gelaufen war, sah ich sie erst kurz vor dem Abendessen wieder. Ich hatte sie gesucht, war sogar zu den Tennisplätzen gegangen, aber da war sie nicht gewesen.
    Tante Nick und Tyler kamen als Erste zurück. Ihre Haare waren zerzaust, ihre Gesichter von der Sonne gerötet.
    »So ein Wind!«, sagte Tante Nick. »Ganz schön stürmisch da draußen!«
    Tyler trug ihre Bootstasche, und als er auf dem Weg in den Keller an ihr vorbeikam, berührte er sie leicht an der bloßen Schulter. Sie zuckte zurück. Wahrscheinlich wollte sie nicht, dass er so etwas vor mir machte.
    »Hallo, Ed«, sagte er.
    Tante Nick gab mir einen Kuss und strich sich das Haar glatt, aber sie wich meinem Blick aus. »Hoffentlich hat es nicht so geschaukelt auf der Fähre.«
    »Nein, gar nicht«, sagte ich.
    »Wo ist deine Mutter?«
    »In ihrem Zimmer.«
    »Und Onkel Hughes ist noch nicht zurück?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Na gut. Ich gehe jetzt unter die Dusche und ziehe mich um. Dann trinken wir unsere Cocktails, und du kannst mir erzählen, was bei dir so los war.«
    Sie begann die Treppe hinaufzugehen.
    »Daisy ist auch nicht da«, sagte ich.
    »Was?« Sie blieb stehen und drehte sich um. Sie wirkte irritiert.
    »Sie ist sehr durcheinander.«
    Tante Nick hielt sich am Geländer fest. Ihre Knöchel wurden weiß. »Hat sie das gesagt?«
    »Nein«, sagte ich, »aber ich habe es bemerkt.«
    »Na ja, sie heiratet in zwei Monaten. Das wird das Lampenfieber sein.« Es klang unbeschwert, aber als sie die restlichen Stufen hinaufging, lockerte sie ihren Griff kein einziges Mal.
    Kurz darauf kehrte Onkel Hughes vom Lesezimmer zurück, und wir versammelten uns alle im blauen Salon. Dann kam Daisy herein.
    »Hallo«, sagte sie.
    »Grüß dich, meine Süße!«, sagte Onkel Hughes. »Wo warst du denn?«
    »Ich bin nur ein bisschen spazieren gegangen.«
    »Was möchtest du trinken?«
    »Nichts, Dad, danke. Ich habe Durst. Ich hole mir schnell ein Glas Wasser.«
    »An der Bar steht Zitronenwasser«, sagte meine Mutter. Sie trank nichts und sah mich seit fünfzehn Minuten nervös an.
    »Danke.« Daisy ging hinüber und nahm sich einen Tumbler.
    Ich beobachtete, wie Tante Nick sie beobachtete und den Stiel ihres Martiniglases krampfhaft umfasst hielt.
    »Wir haben heute den Pastor segeln sehen«, erzählte Tyler grinsend. »Von wegen Brote und Fische.«
    »Ach?«, sagte Daisy. Sie wirkte leicht abwesend. »Ist ja nett.«
    Tyler stand auf und ging zu ihr. »Ist alles in Ordnung?« Er machte Anstalten, den Arm um sie zu legen, aber sie schüttelte ihn ab.
    »Ja. Ich bin nur erhitzt und müde vom Gehen.«
    »Ich war bei den Tennisplätzen«, sagte ich.
    Zum ersten Mal, seit sie den Raum betreten hatte, sah sie mich an. Aber sie erwiderte nichts.
    Auch Onkel Hughes musterte mich eindringlich. »Was hast du bei den Tennisplätzen gemacht?«
    »Daisy gesucht«, antwortete ich.
    »Daisy hat in letzter Zeit gar nicht Tennis gespielt«, sagte meine Mutter. »Warum eigentlich nicht?«
    »Mein Gott, sie hatte eben viel zu tun mit den Hochzeitsvorbereitungen«, sagte Tante Nick.
    »Würdet ihr bitte aufhören, über mich zu reden, als ob ich gar nicht da wäre?« Daisy knallte ihr Glas auf die Marmorplatte der Bar.
    »Daisy hat recht«, sagte Onkel Hughes. »Wir sitzen hier beim Cocktail und nicht bei der spanischen Inquisition.«
    Eine Zeitlang schwiegen alle. Dann wandte sich Onkel Hughes an Tante Nick und sagte: »Was gibt es denn zum Abendessen?«
    Nervöses Gelächter plätscherte durch den Raum.
    Tante Nick stand auf und legte ihre Hand in die von Onkel Hughes. »Ich habe ein paar wunderschöne Flundern von meinem kleinen Fischhändler.«
    Onkel Hughes sah sie an und legte ihr die freie Hand auf den Kopf wie eine Kappe. »Das klingt wunderbar.«
    Tyler starrte die beiden mit stahlhartem Blick an. Daisy bemerkte es, ich sah ihre

Weitere Kostenlose Bücher