Zeit der Raubtiere
Eigentlich ist es sogar ziemlich schön, weißt du.«
»Das sagen alle. Ach, Helena, siehst du mich bis zu den Ellbogen in schmutzigen Windeln stecken? Er hat mich doch schon an den Herd gekettet – was will er denn noch?«
»Jetzt hör auf, so zu tun, als ob du ihn nicht lieben würdest!« Helena vollführte mit weit gespreizten Armen eine Geste, die die gesamte Küche umfasste. »Das alles hier!«
»Natürlich liebe ich ihn. Ich hatte es mir nur ein bisschen aufregender vorgestellt.«
»Die Ehe ist ein sicherer Hafen«, sagte Helena leise. »Du wirst nie mehr allein sein.«
»Es geht nicht um die Ehe«, gab Nick zurück, »es geht um das Leben!« Sie blickte aus dem Fenster und drehte sich dann abrupt zu ihrer Cousine um. »Denk an die Elm Street zurück! Da konnten wir machen, was wir wollten, niemand hat etwas von uns erwartet. Ich vermisse sogar diese grauenhaften Lebensmittelmarken. Es wäre so schön, wenn es jetzt so wäre, für Hughes und mich. Nicht alles so anständig und spießig. Manchmal würde ich mir am liebsten die Kleider vom Leib reißen und splitterfasernackt durch die Straßen laufen und mir die Lunge aus dem Hals schreien, nur damit endlich mal etwas passiert!«
»Das war der Krieg, das war nicht das normale Leben«, widersprach Helena. »Und es war ganz und gar nicht schön.«
Nick dachte an Fen und seufzte. »Du hast recht, ich bin eine Idiotin.« Sie rang sich ein Lächeln ab. »Aber jetzt genug davon. Schenkst du den Wein ein, Süße? Die Flasche steht direkt neben dir auf dieser komischen Theke, die Hughes entworfen hat.«
»Er hat dir da wirklich ein wunderschönes Haus gekauft«, sagte Helena und füllte die zwei kleinen Marmeladengläser, die Nick aus ihrem gemeinsamen Apartment gerettet hatte.
»Ja, ein wunderschönes Haus für eine gute Ehefrau«, erwiderte Nick und ließ das Messer auf einen Selleriestengel niedersausen. »Eigentlich darf ich es ja nicht sagen, es ist gemein. Aber wenn es nach mir ginge, könnten sowieso alle Männer zur Hölle fahren.«
»Du bist wirklich unmöglich, Nick. Du willst einfach zu viel. Das heißt Gott lästern, wie Mutter immer gesagt hat.«
»Und Avery?«, fragte Nick, der Helenas Gleichmut plötzlich auf die Nerven ging. »Ist der alles, was du willst? Ist Gott so verdammt zufrieden mit euch beiden?«
»Wir wohnen in einem gemieteten Haus«, entgegnete Helena nachdenklich. »Ich hätte gern ein eigenes. Aber es ist ein reizender kleiner Bungalow mit einem Extrazimmer für das Baby.«
»Du bist manchmal so was von begriffsstutzig, Süße«, sagte Nick und legte das Messer auf das Schneidbrett. »Es geht mir um deinen Mann, nicht um eure Wohnverhältnisse.«
»Ach so.« Helena schien sich ein wenig vor Nicks Blick wegzuducken. »Na ja, ich weiß auch nicht. Alles so wie immer.«
»Mein Gott, Helena, dir muss man wirklich alles aus der Nase ziehen.« Nick hätte ihr am liebsten den Selleriestengel über den Kopf gezogen. »Was ist so wie immer?«
»Weißt du, Nick, er ist anders als andere Männer. Er ist eben Künstler.«
»Was redest du da? Avery ist kein Künstler, er verkauft Versicherungen, Herrgott noch mal!«
»Ja, zum Broterwerb. Aber seine eigentliche Leidenschaft ist der Film«, sagte Helena und starrte in ihr Glas, als suchte sie etwas darin. »Und er nimmt das Ganze sehr genau. Er hat da so eine Sammlung.«
Nick ging zum Tisch und setzte sich neben ihre Cousine. »Eine Sammlung.«
»Ja. Also, er hatte eine Freundin, eine Schauspielerin, die sehr gut war, sehr talentiert und wunderschön. Und die beiden wollten zusammen Filme machen – sie sollte der Star sein, und er wollte das Geld aufbringen. Aber dann … dann wurde sie umgebracht, und er war am Boden zerstört. Das hat alles für ihn verändert.«
»Verstehe.« Und wirklich glaubte Nick, allmählich zu verstehen, was es mit Avery Lewis auf sich hatte. »Klingt ja wahnsinnig dramatisch.«
»Ja, ja«, sagte Helena. »Und er dachte, er könnte nicht weitermachen. Aber dann lernte er mich kennen, und da wurde ihm klar, dass er es nicht allein durchziehen muss. Er hat sich dem Ziel verschrieben, der Welt zu zeigen, was für ein Talent sie war. Und deshalb hat er diese Sammlung angelegt. Eine Sammlung, die ganz allein ihr gewidmet ist.«
Nick konnte kaum glauben, was sie da hörte. Helena war zwar manchmal arg naiv, aber eine komplette Idiotin war sie nicht. »Und wie kommt er voran? Mit der Aufgabe, der Welt zu zeigen, was für ein Talent seine Ex-Geliebte war,
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