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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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Hause, Nick. Und dann wird alles gut.«

Februar 1947
    N ick saß in der Küche und rauchte. Sie hörte sich mit halbem Ohr eine Sendung über Vögel an und rieb ihren prallen Bauch. Sie schaute in den Garten, der genauso hart und reglos wie ihr Leib war. Hie und da pickte ein Spatz hoffnungsvoll in den gefrorenen Boden. Nach einer Reklame für Bromo Seltzer schaltete sich der Sprecher wieder ein.
    »Und hier sind wir wieder mit Miss Kay Thompson, die uns Auszüge aus dem Standardwerk ›Die Vogelwelt Neuenglands‹ von Alden Stearns vorlesen wird – einem Buch, das seit über sechzig Jahren die Herzen der Vogelliebhaber erfreut.«
    Eine heisere, mit neuenglischem Akzent näselnde Frauenstimme ertönte.
    »Die Nachtschwalbe gehört zu einer in vielerlei Hinsicht merkwürdigen Familie und legt äußerst sonderbare Gewohnheiten an den Tag. Ihr geheimnisvolles Verhalten ist eine Quelle so düsterer wie lächerlicher abergläubischer Ansichten. Doch besitzt die Nachtschwalbe eine Reihe liebenswürdiger und bewundernswerter Eigenschaften, zu denen die elterliche Fürsorge und die eheliche Treue gehören.«
    Nick sah nach den Baisers im Ofen. Hughes war in letzter Zeit, nach einem Arbeitsessen in einem französischen Restaurant, geradezu verrückt nach Baisers. Seltsam, welche Gelüste er entdeckte, wenn er von ihr fort war. Es erstaunte sie immer wieder aufs Neue, wenn sie feststellte, dass er plötzlich dies oder jenes liebte, obwohl er das Haus noch am selben Morgen als eine relativ bekannte Größe verlassen hatte. Doch trotz dieser kleinen überraschenden Leidenschaften hatte sie das Gefühl, ihn jetzt besser zu kennen. Vielleicht kannte sie aber auch nur ihre Ehe besser; sie lernte allmählich, dass das eine nicht dasselbe war wie das andere. Kompromiss – welch hässliches, mediokres Wort, dachte sie. Aber es lief jetzt alles glatter, wie eine quietschende Tür, deren Angeln man endlich geölt hatte. Und dafür hatte Nick mit Kompromissen bezahlt.
    Nach ihrer Rückkehr hatte er ihr in Cambridge dieses Haus gekauft. Nick hatte mit dem Gedanken gespielt, in Tiger House einzuziehen – und sei es nur für kurze Zeit, um die heiße, abgestandene Luft Floridas wegzuspülen, aber Hughes hatte sich sofort quergestellt.
    »Ich kann dort nicht arbeiten, Nick«, hatte er beim Abendessen in ihrer Übergangswohnung in der Huron Avenue erklärt. »Und wir werden nicht meine Eltern um Geld bitten.«
    Hughes hatte eine Anstellung als Anwalt in der Kanzlei Warner & Stackpole bekommen, in der auch sein Vater tätig war. Und im letzten Februar hatte er das Haus entdeckt. »Erbaut von der ersten Architektin, die am MIT studiert hat«, berichtete er. Es sollte für sie ein Grund mehr sein, das Haus zu lieben. Sie konnte sich mit seinen Augen sehen: schwierig, kämpferisch, eine Frau, die dieser aufrührerischen Pionierin, die wahrscheinlich sowieso lesbisch war, ähnelte.
    An der Art, wie er sie durch die Räume geführt hatte – wie er die Türstöcke berührte und ihr in der Küche mit weit ausgebreiteten Armen zeigte, wo die Theke hinkommen würde –, war ihr klargeworden, dass er ein Haus kaufen wollte, um sie dort hineinzustecken. Ein Heim, in das sie perfekt passen würde, in dem alles Seltsame aus ihr herausgesaugt oder zumindest versteckt werden würde. Schon bei dem Gedanken war ihr schlecht geworden.
    Während sie die Umzugskisten ausgepackt, das Hochzeitssilber abgestaubt und seine Hemden aufgehängt hatte, war sie in der Phantasie nach Europa ausgerissen, hatte eine Wohnung an den Champs-Élysées oder in der Via Condotti gemietet, aus kleinen Tassen schwarzen Kaffee getrunken und bis zum Morgengrauen in den Cafés getanzt. Doch außer in Gedanken hatte sie keinerlei Anstalten gemacht, wegzukommen, wenn man vom Kauf einer sehr teuren französischen Unterwäschegarnitur absah. Sosehr ihr klar war, dass Hughes sie in der Falle hatte, so sehr wusste sie, dass sie ihn liebte – oder vielmehr ihn in sich hatte wie ein Fieber. Wohin sie auch ging, sie würde immer an ihm leiden. Sie wusste nicht, warum, aber sie hatte aufgehört, dagegen anzukämpfen. Und in diesem Moment hatte er, als wäre mit ihrer Kapitulation der Damm gebrochen, begonnen, sie zu sehen, sie wirklich zu sehen.
    »Du bist umwerfend«, sagte er eines Tages, als er nach der Arbeit den mit der guten Tischwäsche und dem guten Silber gedeckten Tisch vorfand und Nick gerade dabei war, ein rundes, rosiges Stück Roastbeef, das sie günstig beim Metzger

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