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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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meine ich.«
    »Ich wusste, dass du es nicht verstehen würdest.« Helena reckte das Kinn. »Die wenigsten verstehen es. Es ist ein Kunstwerk, das ganze Leben eines anderen Menschen. So als würde ich alles über dich sammeln, um dein Wesen begreifbar zu machen. Und er wird einen Film drehen. Das hat Avery vor.«
    »Wesen – so ein Quatsch!« Nick versuchte, den Blick ihrer Cousine auf sich zu ziehen, aber Helena sah sie nicht an. »Ganz ehrlich, Helena«, sagte Nick und schüttelte fassungslos den Kopf, »mir war zwar klar, dass sich da seltsame Dinge abspielen, aber dass er dir das Ganze als Kunst verkauft, hätte ich nicht gedacht.«
    »Das ist unfair«, entgegnete Helena. »Er mag ein ungewöhnlicher Mensch sein, aber was ist daran so schlimm? Er liebt mich, und, Nick, er versteht mich. Ich schulde ihm meine Unterstützung.«
    »Deine finanzielle Unterstützung, meinst du.« Helenas Gesicht verfärbte sich, und Nicks Zorn begann zu schwinden. Sie legte Helena die Hand auf die Schulter und sagte sanft: »Entschuldige, ich wollte dich nicht kritisieren. Trotzdem, Süße, das Ganze ist aberwitzig, das siehst du doch auch, oder?«
    »Er ist mein Mann, Nick. Und noch dazu mein zweiter. Ich habe nicht vor, mich scheiden zu lassen und zu Nummer drei weiterzuziehen.«
    Nick zog Helena zu sich und legte ihre Wange an das weiche Haar ihrer Cousine. »Wir könnten jemanden in Hughes’ Kanzlei fragen.«
    »Ich bekomme ein Baby.«
    Nick wich zurück und betrachtete Helena. Dann nickte sie langsam. »Stimmt. Ja, du bekommst ein Baby.«
     
    »Vielleicht ist die Nachtschwalbe in dem Gestrüpp, in dem sie sich während der hellen Stunden des Tages versteckt hat, oder sie hat sich dicht dem Haus genähert. Sie kann sich sogar unbemerkt auf dem Dach niederlassen und plötzlich mitten in der Nacht so zu schreien beginnen, dass es jedem, der abergläubisch oder für Unheil kündende Erscheinungen empfänglich ist, kalt über den Rücken läuft.«
    Nick spürte die Tritte des Babys wie winzige Blitze in ihrem Bauch zucken. Sie begann die Post durchzusehen. Auf einen Stapel legte sie die Rechnungen, die Hughes sich ansehen musste, wenn er von der Arbeit heimkam, auf einen zweiten die privaten Briefe, die sie am nächsten Tag nach dem Bügeln würde beantworten müssen.
    »Mein Gott, ist das alles langweilig«, sagte sie in die leere Küche hinein.
    Hughes wünschte sich ein Mädchen, aber ein Junge würde sich nicht mit solchen banalen Kleinigkeiten abgeben müssen, sondern das Sagen haben und tun und lassen, was er wollte. Ein Junge würde stark und entschlossen sein und sich nicht entschuldigen müssen oder etwas backen, was er selbst gar nicht essen wollte.
    Sie unterbrach ihre Gedanken und sagte laut: »Kopf hoch, verdammt noch mal!« In letzter Zeit war diese düstere Stimmung immer öfter über sie gekommen. Dr. Monty hatte ihr versichert, das sei ganz normal während der Schwangerschaft.
    »Viele Frauen sind in dieser Zeit ein wenig niedergeschlagen«, hatte er ihr in seiner kleinen Praxis in der Brattle Street gesagt und seine Hand ein bisschen zu lange auf ihrem Knie ruhen lassen. »Alles ganz normal, Mrs. Derringer. Eine Schwangerschaft stellt für jede Frau eine große, aber erfreuliche Veränderung dar.«
    Letzte Woche hatte er mit einem scheelen Blick auf Kants »Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen« die Lektüre etwas unterhaltsamerer Bücher angemahnt. »Viele meiner Patientinnen fanden die Beschäftigung mit Schnittmustern sehr aufmunternd. Schaffenslust – ich kann es nur empfehlen.«
    Also hatte Nick ein Schnittmusterheft für Tageskleider gekauft. Es lag noch immer in braunes Packpapier gewickelt oben in ihrem Ankleidezimmer.
    Nick prüfte die Baisers mit der Fingerspitze. Sie waren abgekühlt. Sie holte die schwarze, mit Wachspapier ausgeschlagene Blechdose und legte eines nach dem anderen vorsichtig, um keine Spitze abzubrechen, hinein. Sie fragte sich, was Helena wohl gerade machte, wie sie das Leben mit einem Baby meisterte. Ed war jetzt vier Monate alt, und Nick sagte sich immer wieder, dass ihre Cousine bestimmt viel zu tun hatte mit ihrem Sohn. Doch bei den kurzen Telefongesprächen klang Helena zunehmend entrückt, wie unter Wasser.
    Nach jedem dieser Telefonate war Nick zwar nicht zutiefst, aber doch ein bisschen traurig wegen der Art und Weise, wie sie am Ende von Helenas Besuch auseinandergegangen waren. Nach dem ersten Gespräch über Avery hatten sie sich an erfreulichere

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