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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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auf die Rückbank bettete und pingelig zurechtrückte, damit es nur ja richtig lag. Sie erkannte Züge von Hughes in dieser Geste, seine Besonnenheit. Hughes war ein überaus vorsichtiger Mann. Während Nick mit Geld, Menschen, eigentlich mit allem, was nicht ihr gehörte, völlig sorglos umging, schliff Hughes jede Ecke rund, die ihm in die Quere kam. Nach außen wirkte er beflissen und charmant, aber dahinter fehlte etwas, fand Helena. Als hätte er einen Teil von sich unberührt in seinem Inneren zurückgehalten, um seine eigentlichen, geheimen Ansichten dort zu verwahren. Wenn es nicht so komisch gewesen wäre, hätte sie Mitleid für Nick empfunden. Die war an einen Mann gekettet, an den offenbar einzigen Mann, der dem Zauber nicht erlag, der bei den anderen so stark wirkte.
    Trotzdem hegte Helena Sympathie für Hughes, auch wenn sie ihn nicht ganz verstand. Sie hatte Verständnis dafür, dass er sich nicht in die Karten schauen ließ. Sie hatte auf die harte Tour gelernt, dass die Leute einen unweigerlich vor sich selbst retten wollten, sobald sie zu viel über einen wussten. So hatte etwa eine von Nicks kleinen Vorschriften in Bezug auf Helena darin bestanden, sämtliche Tabletten aus dem Haus zu schaffen – mit dem Ergebnis, dass man bei Kopfschmerzen nicht einmal mehr ein Aspirin fand, was Helena fast in den Wahnsinn trieb. Als könnte Nick, indem sie die Tabletten beseitigte, Helenas Gelüste beseitigen, als hätte sie irgendeine Kontrolle über deren Begierden. Aber die Tabletten waren gar nicht das Problem, zumindest jetzt nicht mehr.
    Anfangs hatte Helena Avery geholfen, Ordnung in die Sammlung von Rubys Sachen zu bringen, sie, soweit möglich, zu katalogisieren. Aber sie hatte sich zu ungeschickt angestellt und sogar den Parfumflakon zerbrochen, so dass ihn ihre Hilfe letztlich nur mehr frustrierte und sie ihn am frühen Abend, wenn er von der Arbeit in der Sunshine-Versicherung nach Hause kam, allein vor sich hin werkeln ließ.
    Nach ungefähr einem Monat hatte sie zu einem regelmäßigen Tagesablauf gefunden. Fast jeden Morgen bereitete sie das Frühstück zu, räumte dann auf, ging einkaufen, bügelte und stärkte Averys Hemden und machte sich die Haare. Aber das alles dauerte nur bis etwa zwei Uhr nachmittags. Kochen musste sie nicht, weil Avery gern auswärts aß, selbst wenn es, bei knappem Geld, in einem schäbigen Diner war oder er dann eben nur etwas trank. Trotzdem liebte sie diese Abende mit ihrem Mann, denn dann erwachte er zum Leben. Manchmal wurden sie von Bill Fox eingeladen, und sie konnte Avery voller Stolz beobachten. Frauen wie Männer beugten sich zu ihm vor, wenn er sprach, so wie Pflanzen sich einem sonnigen Fenster zuneigen. Er wusste immer das Richtige zu sagen, das richtige Kompliment oder scherzhafte Wort, und immer, wenn sie schon dachte, er hätte sie vergessen, warf er ihr einen Blick zu und schenkte ihr ein ganz besonderes Lächeln, um ihr zu zeigen, dass sie das alles gemeinsam erlebten.
    Problematisch waren die Nachmittage. Um sich die Zeit zu vertreiben, begann Helena Nicks Bücher zu lesen, aber auch die waren irgendwann zu Ende. Sie spazierte stundenlang durch die Wohnsiedlung und kannte sie nach einiger Zeit wie ihre Westentasche. Manchmal stieg sie in einen Bus und fuhr bis zum Abendessen herum, aber sie mochte es nicht, wie die Männer sie ansahen. Außerdem schrieb sie Briefe an Nick. Abgesehen von ihrer Cousine hatte sie keine engen Freundinnen. Zumindest nicht mehr. Ganz am Anfang hatte sie noch Briefe an Fens Schwester und an ein paar Ehefrauen seiner Freunde geschrieben, jedoch nie Antwort erhalten. Ihr altes Leben drüben im Osten schien nicht mehr zu existieren. Der Krieg hatte die Leute eben weit verstreut, sagte sie sich.
    Eines Morgens fand sie nach dem Aufwachen eine Flasche Tabletten und einen Zettel auf dem Nachtkästchen.
    »Für mein Mäuschen«.
    Nachdem Avery von der Arbeit heimgekommen war, klopfte sie an die Tür seines Büros.
    »Was ist das?«, fragte sie ihn, als er einen Spaltbreit öffnete und sie mit seinen haselnussbraunen Augen ansah, die müde wirkten, weil er sie so lange in der Dunkelheit zusammengekniffen hatte.
    »Ein kleines Präsent«, sagte Avery. »Ich erwähnte Bill Fox gegenüber, dass dir hier tagsüber ein bisschen langweilig ist, während ich so viel arbeite, und da hat er mir diese Tabletten empfohlen. Er gibt sie einigen seiner größten Stars. Zum Schlafen. Und auch zum Träumen, meine Liebste.« Er zwinkerte ihr

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