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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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gesehnt, hatte die kleine Angeberin gespielt und ihn schließlich ignoriert, bis er es endlich eingesehen hatte. Helena kicherte leise in sich hinein. Daisy war hartnäckig, das musste man ihr lassen.
    Sie fragte sich, ob die beiden miteinander schliefen. Wahrscheinlich schon. Heutzutage hüpften die Leute ja mir nichts, dir nichts miteinander ins Bett. Nicht dass es sich anders verhalten hätte, als sie in Daisys Alter war, aber damals besaß man wenigstens den Anstand, sich der Sache zu schämen. Sie war erst nach der Hochzeit mit Avery ins Bett gegangen, dabei war sie ja keine Jungfrau mehr gewesen.
    In der Hochzeitsnacht hatten sie nicht miteinander geschlafen; sie hatten beide zu viel Champagner getrunken. Wenn sie ehrlich war, hatte sie das als Erleichterung empfunden. Der Sex mit Fen war eine eher verstörende Erfahrung gewesen. Er hatte solche Achtung vor ihrem Körper gezeigt, dass sie sich wie ein Puppenhaus vorgekommen war. Und dann hatte sich die Erinnerung an den Geschlechtsverkehr mit ihm natürlich irgendwann mit seinem Tod vermischt, so dass sie dem Ganzen zum Zeitpunkt der Hochzeit mit Avery ziemlich angewidert gegenüberstand.
    Doch mit Avery war es im Bett völlig anders gewesen. Als es schließlich so weit war, hatte er ununterbrochen »meine Frau, mein Filmstar« geflüstert, was dazu führte, dass sie sich zwar ein bisschen komisch, aber auch sexy fühlte. Hinterher lag Avery da, fuhr mit dem Finger die Umrisse ihrer Brust nach und betrachtete sie mit seinen braunen Augen unter den schweren Lidern. Haselnussbraun, hatte Helena damals gesagt und bemerkt, dass ihr erst da bewusst geworden war, welche Augenfarbe er hatte.
    »Ich finde es gut, dass du keine Jungfrau mehr bist und das ganze Theater«, sagte er. »Aber ein bisschen mehr Erfahrung hätte ich dir schon zugetraut.«
    »Oh.« Mehr brachte Helena vor lauter Verlegenheit nicht heraus.
    »Ich will, dass du dabei redest.«
    »Oh.«
    Avery lachte. »Du brauchst dich nicht zu schämen, Helena. Mit mir nicht.«
    »Ich schäme mich nicht.« Es war gelogen.
    Er nahm ihr Gesicht zwischen die Hände, und seine Miene wurde ernster. »Versprich mir, dass du nie zu verbergen versuchst, wer du bist.«
    Helena hielt den Blick abgewandt, aber in ihrem Körper breitete sich eine tiefe Wärme aus. »Da, wo ich herkomme, sagt man so etwas einfach nicht.«
    »Ich weiß, wo du herkommst. Alles Ostküstensnobs, so wie deine Cousine. Aber da bist du jetzt nicht mehr. Wir können jetzt sein, wie wir wollen.«
    »Das sind keine Snobs«, wandte Helena ein.
    »Du hast ja recht.« Er strich ihr das Haar glatt. »Aber du weckst einfach meinen Beschützerinstinkt. Niemand darf dir das Gefühl geben, weniger wert zu sein. Verstehst du, was ich meine?«
    Sie verstand es.
    »Ich möchte dir etwas zeigen«, sagte er und setzte sich auf.
    Er führte Helena durchs Wohnzimmer zu der dunklen Holztür, die in den Raum führte, den er beim ersten Rundgang mit ihr ganz selbstverständlich als sein Büro bezeichnet hatte.
    Hinter der Tür befand sich ein vollgestopftes quadratisches Zimmer, das nur von einem kleinen Fenster an der Seite Licht erhielt. An der Wand hingen zwei große Plakate. Auf dem einen sah man einen Mann im Trenchcoat, der einen rauchenden Revolver in der Hand hielt und an dessen Bein sich eine rothaarige Frau in einem zerrissenen grünen Kleid klammerte. Darüber stand in großen roten Blockbuchstaben »Blutzoll«, und der Slogan lautete: »Die Mafia sucht ihn … Die Geliebte will ihn … Doch diesen Mann hält niemand auf!«
    Das andere Plakat warb für einen Streifen mit dem Titel »Augen am Schlüsselloch« (»Er sieht dich, wenn du schläfst«). Von beiden Filmen hatte Helena noch nie etwas gehört, aber es schien sich um solche zu handeln, die man in Doppelvorstellungen zu sehen bekam.
    Auf dem Boden unter den Plakaten lagen zwei Haufen mit Frauenkleidern. Ein grauer Aktenschrank aus Metall, ein mit Standfotos übersäter Schreibtisch und ein Stuhl waren die einzigen Möbel im Raum. An den Wänden stapelten sich Schachteln, aus denen alles mögliche Zeug quoll – Helena sah einen leeren Parfumflakon, eine Haarbürste und ein zerlesenes Exemplar des Romans »Mrs. Parkington«.
    »Was ist
das
denn?« Insbesondere die Haarbürste irritierte sie. Wohnte hier noch jemand?
    »Ich möchte dir Ruby vorstellen«, sagte Avery und breitete wie ein Pastor die Arme aus.
    »Entschuldige, aber wer ist Ruby?«
    »Meine Zwillingsschwester«, antwortete er, trat in

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