Zeit der Raubtiere
nicht wahr?«
»Ja.« Die Hexe klang nicht gerade erfreut.
»Gut. Also, Mrs. Derringer, ich befinde mich normalerweise nicht im Besitz von Hausschlüsseln anderer Leute.«
Es klopfte wieder an der Tür. »Verdammt noch mal, mach auf, Avery! Helena? Bist du dadrin, Süße?«
»Also, ich glaube nicht, dass Avery dadrin ist, Mrs. Derringer.«
»Was soll das heißen? Wo steckt er denn sonst?«
»Wie ich Ihnen bereits am Telefon sagte, pflege ich meine Freunde nicht zu überwachen. Allerdings habe ich ihn schon seit einiger Zeit nicht mehr gesehen.«
»Nun, Mr. Fox … Ihr Name ist doch Fox, oder?« Es klang schneidend, aber sie hatte den schneidenden Ton eben besser drauf als jeder andere Mensch. Genau deshalb war sie ja die Hexe, da hatte Avery recht gehabt. »Ich möchte Sie wahrlich nicht überfordern, aber vielleicht könnten Sie sich ausnahmsweise einmal richtig anstrengen und mir sagen, wann Sie ihn das letzte Mal gesehen haben.«
»Es dürfte, ehrlich gesagt, schon ein paar Wochen her sein.«
»Ein paar Wochen?«
»Einen Monat vielleicht.«
»Einen Monat? Soll das ein Witz sein? Wo steckt er denn bitte schön seit einem Monat?«
»Das weiß ich beim besten Willen nicht, Mrs. Derringer.«
»Sie wissen es beim besten Willen nicht.«
»Nein.«
»Gut, Mr. Fox, Sie brauchen nichts mehr zu sagen, aber ich sage Ihnen: Ich werde Avery Lewis selbst suchen, und wenn ich ihn finde, wird herauskommen, dass er nichts Gutes im Schilde geführt hat. Und dann werde ich den größten Skandal ins Rollen bringen, den Sie jemals erlebt haben, und jeder hier in Ihrer Stadt wird erfahren, dass er es auf Ihrem Grund und Boden gemacht hat. Unter Ihrem Dach. Wenn Sie nicht sofort einen Schlüssel zu dieser Tür präsentieren, rufe ich die Polizei und lasse sie eintreten. Ich bin nicht zweitausend Meilen gefahren, um mich von Ihnen oder irgendwem sonst aufhalten zu lassen. Haben wir uns verstanden?«
Eins zu null für die Hexe. Helena biss in das Kissen.
»Schon recht, schon recht, Mrs. Derringer.«
Eine Zeitlang blieb es still, und Helena glaubte bereits, sie wäre eingedöst, doch dann fing der Produzent wieder an.
»Also, ich meine gehört zu haben, dass er Schauspielerinnen für sein Filmprojekt vorsprechen lässt, und ich glaube, dass er zu diesem Zweck – zu diesem rein geschäftlichen Zweck, Sie verstehen – irgendwo einen Raum gemietet hat. Dort könnte er sich möglicherweise aufhalten.«
»Ich will die Adresse. Und besorgen Sie mir den verdammten Schlüssel!«
»Wie ich bereits sagte, habe ich keinen Schlüssel. Aber ich hole den Gärtner, vielleicht kann der uns weiterhelfen.«
»Eine hervorragende Idee, Mr. Fox.«
Und dann döste Helena wirklich ein. Es war das Dilaudid. Oder das Demerol. Sie wusste nicht mehr genau, was auf dem Nachtkästchen lag. Irgendwo in ihrem Traum dröhnte es wie aus weiter Ferne, dann spürte sie eine kühle Hand auf der Stirn.
»Helena, Süße!«
Helena schlug die Augen auf. Da stand sie. Weinte sie? Nein, die Hexe weinte nie. Worüber hätte die Hexe auch weinen sollen?
»Hörst du mich, meine Süße? Ich bin’s, Nick. Ach, du Arme. Ich bringe dich weg von hier.«
Helena war zu schlaftrunken, um ihr sagen zu können, dass sie nirgendwohin wollte. Nicht mit ihr.
»Avery.«
»Mach dir bitte keine Sorgen! Ich kümmere mich um alles.«
Helena nickte. Sie wusste nicht, warum sie nickte; sie wollte einfach, dass das Reden aufhörte, damit sie weiterschlafen konnte. Sie war so müde. Sie schloss die Augen, aber das Tennisspiel hörte sie weiterhin.
»Mein Gott, wir brauchen einen Arzt.«
»Das sind nur die Tabletten, Mrs. Derringer.« Der Produzent war auch da. »Wenn sie ausgeschlafen hat, geht es ihr wieder gut. Aber falls Sie sich Sorgen machen, kann ich Dr. Hofmann anrufen. Das ist Helenas … äh, Mrs. Lewis’ Arzt.«
»Sind Sie verrückt? Schauen Sie sie doch an! Sie müssen komplett den Verstand verloren haben, wenn Sie glauben, dass ich diesen Quacksalber auch nur in ihre Nähe lasse. Wo ist das Telefon?«
Helena war wieder in Tiger House, es war Sommer, und oben am Treppenabsatz flatterten die Leinenvorhänge, die ihre Großmutter genäht hatte. Durchs Fenster sah sie ihre Mutter und ihren Vater auf dem Rasen jenseits der Straße mit ihrer Tante und dem Onkel Tee trinken. Eine kleine Bö hatte ihrer Mutter den Hut vom Kopf gehoben, und nun versuchte sie, ihn festzuhalten, während sie in der anderen Hand die Teetasse hielt.
An der Stelle, wo
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