Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
Vom Netzwerk:
sondern öffnete langsam die Tür und steckte den Kopf ins Zimmer.
    »Ich will nicht streiten. Nicht an deinem Geburtstag.«
    Helena sah sie an. Sie konnte Nick inzwischen so vieles nicht mehr sagen, dass es fast unmöglich war, überhaupt etwas zu sagen, und seien es Höflichkeitsfloskeln oder kleine Zugeständnisse.
    »Wir streiten doch gar nicht«, entgegnete sie. Sie war müde.
    »Ich habe etwas für dich. Ein Friedensangebot und ein Geschenk. Kann ich reinkommen?«
    »Selbstverständlich«, sagte Helena. »Es ist dein Haus.«
    Nick, die ein braunes Paket unter dem Arm trug, tat, als hätte sie die letzte Bemerkung nicht gehört, und legte eine kleine weiße Tablette auf das Beistelltischchen neben der Chaiselongue.
    »Ich habe ein Aspirin gefunden.« Sie blickte Helena an, als erwartete sie, ihre Cousine würde jubelnd aufspringen.
    »Danke«, sagte Helena und ließ die Hände, fest um ihr Buch gelegt, im Schoß.
    »Und jetzt möchte ich dir dein Geburtstagsgeschenk geben. Noch vor dem Abendessen.« Nick legte das Paket neben sie.
    Helena wartete in der Hoffnung, sie würde gehen und sie nicht zwingen, das Geschenk gleich auszupacken und Dankbarkeit zu heucheln.
    »Na los, Süße, mach es auf! Ich bin ziemlich stolz darauf.« Nick lächelte ihr gewinnendes Lächeln.
    Helena ertappte sich dabei, dass sie das Lächeln unwillkürlich erwiderte. Sie nahm das Geschenkpaket, zerriss das Papier und brachte einen sorgsam zusammengelegten Stoff zum Vorschein: hellblauer Musselin, bestickt mit goldenen Tigern. Sie zog ihn hervor, und es entfaltete sich ein Kleid – knielang, tailliert, mit einem Glockenrock.
    »Ich habe ein altes Schnittmuster von dir mit ein paar kleinen Änderungen aufgepeppt und das Kleid für dich umarbeiten lassen. Na, was meinst du?«
    Helena strich behutsam über den Stoff. Das Kleid war wunderschön.
    »Gefällt es dir?«
    »Ja, natürlich.«
    »Ich wusste es. Hughes hatte Bedenken, weil es ja mal mein Kleid war. Aber ich habe ihm erzählt, dass Großvater den Stoff damals uns beiden mitgebracht hat und ich ihn egoistischerweise einfach für mich genommen habe. Ich weiß, dass das egoistisch war, Süße. Es tut mir leid.« Nick faltete die Hände.
    »Du würdest Kissen daraus machen, hast du gesagt.« Helena bemühte sich, nicht vorwurfsvoll zu klingen.
    »Ja, ich weiß, ich weiß, und dann habe ich ein Kleid daraus genäht. Wie gesagt – es tut mir ehrlich leid.« Nick starrte einige Sekunden lang zur Zimmerdecke. Helena sah, dass sie ruhig zu bleiben versuchte, und musste insgeheim lächeln. »Jedenfalls freut es mich wahnsinnig, dass es dir gefällt.«
    Helena breitete das Kleid über ihren Schoß und glättete den Stoff mit der Hand.
    »Tja«, sagte Nick, nachdem Helena eine Weile geschwiegen hatte, »dann will ich nicht weiter stören. Ich muss noch einiges für das Geburtstagsessen vorbereiten.« Sie stand auf und drehte sich noch einmal um. »Ach, das habe ich ja noch gar nicht erzählt. Es tut mir leid, Süße, aber unglaublicherweise hat irgendwer deinen Geburtstagskuchen gestohlen. Wahrscheinlich einer von den Nachbarjungen. Wir haben überall gesucht, aber das Ding ist weg. So etwas habe ich noch nicht erlebt. Es tut mir leid. Ich weiß, wie gern du Engelskuchen isst.«
    »Erstaunlich«, sagte Helena.
    Nick ging zur Tür und sagte: »Ich liebe dieses Zimmer. Ich habe es schon immer geliebt, vor allem die Hüttensänger.« Dann schloss sie leise die Tür hinter sich.
    Helena ließ sich auf die Chaiselongue zurückfallen. Gott, wie sie Nick hasste! Aber das Schlimmste war, dass sie sie gleichzeitig vermisste. Sie war charmant und witzig und furchtbar, alles auf einmal. Nicht dass sie ihrer Cousine nicht hätte verzeihen wollen – sie konnte es nicht. Nick war zu weit gegangen. Helena hatte im Leben nur eine einzige Sache wirklich haben wollen, und die hatte Nick ihr zerstört.
     
    »Warum glauben Sie, dass sie die Stärkere von Ihnen beiden ist?«
    »Das glaube ich gar nicht.«
    »Wenn sie nicht stärker ist als Sie, wie konnte sie Ihnen dann den Mann wegnehmen?«
    »Sie gehört zu den Menschen, die kriegen, was sie wollen. Und sie hat entschieden, dass ich einen Fehler gemacht hatte.«
    »Wer sind denn die Menschen, die kriegen, was sie wollen? Warum glauben Sie, dass Sie nicht zu ihnen gehören?«
    »Weil ich kein Trottel bin, Dr. Kroll. Ich weiß Bescheid über die Welt.«
    »Und wie ist die Welt, Mrs. Lewis?«
    »Die Welt ist grausam zu den Unschuldigen.«
    »Und Sie sind

Weitere Kostenlose Bücher