Zeit der Raubtiere
Duft für ihn mit ihr verbunden gewesen.
Er kam an eine Lichtung und blieb abrupt stehen. Der Mond war ein Stück gestiegen. In einem alten Unterstand am Rand der Lichtung lag Frank Wilcox mit bis zu den Knöcheln heruntergelassener Hose und stieß rhythmisch in das Mädchen, dessen Gesicht von ihm abgewandt war. Frank hatte den Kopf der jungen Frau mit der Hand zur Seite gedrückt und benutzte ihn als eine Art Hebel.
In der Mitte der Lichtung stand Ed, mit dem Rücken zu Hughes. Der Junge gab keinen Laut von sich, aber Hughes sah, dass sich sein rechter Arm hektisch auf und ab bewegte.
Ach, du Scheiße, dachte Hughes. Ach, du verdammte Scheiße.
Er näherte sich Ed, so leise er konnte, streckte die Hand aus und packte seinen Neffen an der Schulter. Der Junge hielt inne, doch sonst tat er nichts. Kein Aufschrei, kein Zurückschrecken. Hughes hörte, wie der Reißverschluss hochgezogen wurde; dann drehte sich Ed zu ihm um. Seine Miene war so ausdruckslos, dass Hughes zusammenzuckte. Er legte den Finger an den Mund und deutete zu dem Pfad hin. Ed blickte ihn ein paar Sekunden lang an, dann machte er sich auf den Weg zurück zu den Tennisplätzen.
Hughes schwieg voller Wut, während er hinter ihm herging, den Blick auf die gemächlich vor ihm stapfenden Füße gerichtet. Doch kaum hatten sie die Straße erreicht, drehte er Ed grob zu sich um.
»Was hast du dir dabei gedacht?«
»Ich bin kein Perverser«, teilte Ed ihm sachlich mit.
»Da bin ich mir nicht so sicher«, entgegnete Hughes. »Was glaubst du eigentlich, verdammt noch mal!«
Ed stand da und sah ihn mit merkwürdig matten Augen an. Hughes hatte keine Ahnung, was im Kopf des Jungen vorging, aber er wusste noch, dass er in Eds Alter ziemlich schräge Sachen gemacht und sich hinterher ziemlich mies gefühlt hatte.
»Pass auf«, sagte er, um es anders zu versuchen, »es ist ganz normal, wenn einen diese Dinge interessieren.«
»Welche Dinge?«
Mein Gott! »Männer und Frauen.«
Ed schwieg.
»Als ich so alt war wie du, gab es ein bestimmtes Mädchen, das ich sehr mochte …« Er wusste selbst nicht genau, worauf er hinauswollte.
»Ich mag Frank Wilcox nicht. Und das Mädchen auch nicht besonders.«
War der Knabe beschränkt? Hughes versuchte, ruhig weiterzusprechen. »Ich will damit sagen, dass du nicht einfach mitten in der Nacht durch die Gegend laufen und Leute ausspionieren kannst. Und schon gar nicht so. Das geht doch nicht, Herrgott noch mal!«
»Ich habe nicht spioniert.«
»Ich glaube, wir wissen beide, was du gemacht hast.«
»Das waren Nachforschungen.«
»Das sind keine Nachforschungen.« In Hughes kam wieder die Wut hoch. »Und was du da gesehen hast, war nicht gerade erfreulich.«
»Warum muss es denn erfreulich sein?«
Der Junge sprach in neutralem Tonfall, aber Hughes hatte trotzdem den Eindruck, dass er ihn verhöhnte. »Ich weiß ja, dass es bei euch zu Hause nicht einfach ist, dein Vater …«
»Hör auf damit!«, sagte Ed, und es klang nicht so glatt wie sonst.
»Hör zu …«
»Ich forsche«, erklärte Ed. »Ich will etwas über Menschen lernen, darüber, was in ihnen drin ist.«
»Entschuldige bitte, aber was soll das heißen – ›was in ihnen drin ist‹?«
»Ich forsche viel. Ich betreibe Nachforschungen, die andere Leute nicht betreiben wollen.« Ed sah ihn eindringlich an. »Ist nicht immer angenehm.«
Es lag an der Art, wie er es sagte. An einer kleinen Veränderung im Tonfall. Hughes lief es eiskalt den Rücken hinunter. Irgendetwas war hier sehr, sehr faul. »Wie meinst du das?«, fragte er langsam.
»Ich weiß zum Beispiel über deine Briefe Bescheid. Die von dieser Eva, dieser Frau in England.«
Hughes hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Dann kam das Adrenalin. Das alles durfte nicht wahr sein. Er fühlte sich benommen, auf die niedrigsten Instinkte reduziert. Er ging ganz nahe an Ed heran und packte ihn am Kragen, brachte sein Gesicht so dicht an das des Jungen, dass er dessen Shampoo riechen konnte und dessen Schweiß. »Was hast du da gottverdammt noch mal gesagt?« Seine eigene Stimme erschien ihm merkwürdig, ruhig und kalt.
»Die Briefe«, stieß Ed hervor, als würde ihn Hughes’ Nähe erregen. »Die, die du unten im Keller versteckst.«
»Die Briefe, die ich unten im Keller verstecke.« Die Wut dampfte aus ihm heraus wie ein übler Geruch. »Meine Briefe. Du kleines Arschloch.« Gleich würde er den Jungen zerfetzen, er spürte es. Er würde sich nicht mehr bremsen können. Aber
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