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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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Commander Lindsey rieb sich die Oberlippe, was er immer tat, wenn er über ein Problem nachdachte. Beim ersten Mal hatte Hughes geglaubt, sein Captain wolle ihm sagen, dass er etwas im Gesicht habe, und hatte dieselbe Geste bei sich gemacht, bis Commander Lindsey schließlich wissen wollte, warum er so verdammt unruhig sei.
    »Sehr bedauerlich«, meinte der Captain. »Ich habe hier eine Depesche, die noch heute Abend der Führung der Royal Navy zugestellt werden muss. Lieutenant Wilson und Lieutenant Jacks sind wohl schon unterwegs, nehme ich an.«
    »Jawohl, Sir. Ich glaube, sie haben den Zug erreicht.«
    »Genau. Also, Lieutenant, vielleicht können wir da sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ich rede mal mit den Briten und frage, ob sie uns einen Meldefahrer überlassen können. Vielleicht kriegen wir Sie doch noch heute Abend nach London.«
    »Das wäre großartig, Sir.«
    »Holen Sie sich Ihren Kaffee, Lieutenant, aber fix. Wir treffen uns draußen vor dem Eingang.«
    »Danke, Sir.«
    »Mr. Wells.« Commander Lindsey nickte Charlie zu, machte auf dem Absatz kehrt und ging zur Kantinentür.
    »Scheißkerl aus Annapolis«, sagte Charlie, als der Captain weg war. »Geht immer, als hätte er einen Stock im Arsch.«
    »Du hast doch dein Offizierspatent bekommen. Außerdem solltest du nicht so empfindlich sein.« Hughes grinste ihn an.
    »Holen wir uns den Kaffee«, sagte Charlie mürrisch, doch seine Miene klarte schlagartig auf, als sich ihnen ein vollbusiges Rotkreuzmädchen zuwandte, um die Bestellung entgegenzunehmen. »Trotzdem«, sagte er, »ich wüsste nicht, was London haben soll und nicht auch hier zu kriegen wäre.« Er zwinkerte dem Rotkreuzmädchen zu, und die junge Frau lächelte ihn an.
    Hughes lachte. Es ging ihm schon wesentlich besser.
    In der Admiralität der Royal Navy, einem der wenigen noch existierenden Behördenbauten Southamptons, wartete Hughes in der Eingangshalle, während Commander Lindsey mit seinem britischen Kollegen sprach. Das geschäftige Treiben erinnerte ihn an den Bahnhof, nur fehlte hier zu seiner Erleichterung jeglicher Anklang an Weihnachten. Zwei Wochen vor dem Weihnachtstag hatte er Nick einen Brief geschickt in der Hoffnung, sie werde ihn pünktlich erhalten. Er hatte nicht recht gewusst, was er schreiben sollte, außer dass er sie liebte und vermisste; über das, was er machte, oder darüber, wo er gewesen war oder demnächst sein würde, konnte er nicht schreiben.
    Während dieses einen Jahres im militärischen Einsatz schien die Zeit für ihn stillgestanden zu sein. Es gab die Welt, die er zurückgelassen hatte, und diese andere, in die er hineingerutscht war: die ständigen das Schiff erschütternden Explosionen der Sprengkörper aus den K-Gun-Wasserbombenwerfern, die bleichen Gesichter der Besatzung im Rotlicht der Gefechtsstation, die Zickzackfahrten über den Atlantik bei völliger Verdunkelung, das Dechiffrieren von Meldungen, bis einem die Augen aus dem Kopf fielen. Nick lebte weiterhin in der realen Welt, einem Ort, von dem man manchmal träumen konnte, wenn man sich auf die Hängepritsche legte, um ein bisschen Schlaf zu bekommen. Doch wo er war, das ließ sich nicht sagen und schon gar nicht erklären.
     
    »Lieutenant Derringer.«
    Hughes hob den Blick und sah Commander Lindsey. Erst nach mehreren Sekunden wurde ihm bewusst, dass sein Vorgesetzter sich in Begleitung einer Frau befand. Sie trug Breeches, eine Reitjacke, die ihr zu groß war, und Fliegerstiefel oder etwas Ähnliches. Ihr Alter konnte er zunächst nicht schätzen, doch im Näherkommen erkannte er an der Stirn, die unter dem streng hochgesteckten Haar schimmerte, dass sie ungefähr so alt wie Nick war.
    »Sie haben Glück, Lieutenant. Meldefahrerin Eva Brooke hat selbst etwas in London abzuliefern.« Hughes glaubte, ein beginnendes Lächeln in den Mundwinkeln seines Captains zucken zu sehen.
    »Sir«, sagte Hughes. Dann blickte er das Mädchen an. »Miss Brooke.«
    »Mrs. Brooke«, verbesserte ihn die Frau mit der Stimme einer Kirchenglocke.
    »Bitte um Entschuldigung. Mrs. Brooke.«
    »Nun gut, Lieutenant. Diese Nachricht ist für Lieutenant Commander Napier in der Zitadelle der Admiralität. Sorgen Sie dafür, dass er sie erhält, ehe Sie sich den Sehenswürdigkeiten der Stadt widmen!«
    »Jawohl, Sir.«
    Commander Lindsey wandte sich an die junge Frau: »Mrs. Brooke.«
    »Commander.« Sie nickte seinem Captain zackig zu.
    Sie verließen das Gebäude und betraten eine

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