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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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dahinterliegende Freifläche, auf der sich der Schutt benachbarter Bauten türmte. Einige Jungen waren gerade dabei, einander stolz ihre Schrapnellsammlungen vorzuführen. Einer von ihnen hatte ein blaues Auge. Bei seinem Anblick wurde es Hughes einen Moment lang schwindlig.
    »Den da werde ich wohl kaum brauchen«, sagte Mrs. Brooke, schmiss ihren Motorradhelm auf die Rückbank und warf einen angewiderten Blick auf den Wagen. Dann öffnete sie die Fahrertür und stieg ein.
    »Was fahren Sie normalerweise?«
    »Ein Motorrad.« Sie lächelte gequält.
    »Das war mir klar«, sagte Hughes. »Aber welches?«
    »Kennen Sie sich mit Motorrädern aus?«
    »Nein.«
    »Dachte ich mir.« Mrs. Brooke betätigte die Kupplung und fuhr rückwärts von der Freifläche, wobei sie die Jungen zweimal anhupte, die daraufhin wie die Tauben aufstoben.
    Hughes strich über das Armaturenbrett. »Ein Daimler. Deutsch.«
    »Sehr gut beobachtet. Sind Sie immer so schlau?«
    Hughes sah sie an; sie blickte stur geradeaus. »Nicht immer. Aber es kommt vor.«
    »Wir hatten mal eine General-Motors-Fabrik, aber an der fand die ›Luftwaffe‹ urplötzlich und ziemlich lautstark Gefallen.«
    »Ja, da sind sie sehr eigen.« Hughes klopfte seine Brusttasche nach seiner Zahnbürste ab. Er hatte mehrere Wechselkragen in seinen Caban gesteckt – das war sein ganzes Urlaubsgepäck. »Was müssen Sie denn bei der Admiralität abliefern?«
    »Dieses verdammte Auto hier. Kaum zu glauben, was? Offenbar haben sie letzte Woche bei Luftangriffen ein paar verloren.« Jetzt sah sie Hughes an, und er bemerkte, dass ihre Augen fast genau denselben Braunton hatten wie ihr Haar. »Ich will nicht unhöflich sein, aber die Royal Navy würde ihr wertvolles Benzin wohl kaum dafür verschwenden, einen Brief nach London zu fahren. Nicht einmal für euch.«
    Sie ließen die Reste Southamptons hinter sich und kamen ins freie Gelände. Beiderseits der Straße lagen brache Winterfelder.
    »Warum überbringt Ihr Commander das Schreiben nicht selbst?«, fragte sie nach einer Weile.
    Ihre Stimme klang tatsächlich wie eine Kirchenglocke. Hughes dachte an das Geläut von St. Andrew’s auf der Insel, der Kirche, in der Nick und er geheiratet hatten. Unwillkürlich blitzte das Bild von Nicks nacktem Körper in seinem Kopf auf wie ein heller, heißer Lichtstreif.
    »Er hat, glaube ich, ein Mädchen in der Stadt.«
    »Ach ja, das sprichwörtliche Mädchen in der Stadt.«
    »Klingt, als würden Sie das nicht gut finden.«
    »Ich finde es weder gut noch schlecht. Es ist nur einfach ein Klischee.«
    »Es gibt Schlimmeres als Klischees.«
    »Finden Sie? Ich finde, Klischees sind so ziemlich das Schlimmste.«
    »Jeder möchte anders wirken als die anderen, aber wir sind alle gleich.« Hughes dachte an die Jacob Jones, an zweihundert Matrosen und zwölf Offiziere, zweihundertzwölf von Wasserbomben durchgeschüttelte Männer.
    »Ist ja grauenhaft, dass Sie so denken, Lieutenant«, sagte Mrs. Brooke mit einer Sanftheit in der Stimme, die Hughes ärgerte. »Und nennen Sie mich Eva. Ich glaube nicht, dass ich es ertrage, drei Stunden lang ›Mrs. Brooke‹ zu hören.«
    »Wo ist denn Ihr Mann?« Hughes bemitleidete den armen Kerl.
    »Das weiß ich nicht genau«, antwortete sie. »Als wir uns das letzte Mal sahen, kam er gerade aus Nordafrika.«
    »Ist er auch bei der Marine?«
    »Ja.« Sie seufzte.
    Hughes schwieg. Den auf diesen Seufzer unweigerlich folgenden Monolog über Mr. Brooke wollte er sich nicht anhören. Andererseits konnte man natürlich nie wissen, vor allem bei einem Motorrad fahrenden Mädchen. Er lehnte den Kopf an die Lehne und starrte zum Fenster hinaus.
    »Sind Sie von hier?«
    »Wenn ihr Amerikaner ›hier‹ sagt, weiß ich nie genau, was ihr meint.«
    »Von hier«, wiederholte Hughes mit einer die Windschutzscheibe umfassenden Handbewegung. Ihre pampige Art ging ihm allmählich auf die Nerven.
    »Aus Hampshire? Nein«, sagte Eva.
    Hughes sah zu, wie sich die Fensterscheibe mit jedem seiner Atemzüge neu beschlug. Draußen hing tief und trostlos der metallgraue Himmel. Er nahm sein Zippo aus der Tasche und begann es mit dem Daumen immer wieder aufzuschnipsen, so dass der Stahl ein rhythmisches Geräusch erzeugte.
    »Und wo kommen Sie her?«, fragte Eva schließlich, als hätte sie sich damit abgefunden, reden zu müssen.
    »Aus Cambridge, Massachusetts«, antwortete Hughes und dachte an seine Eltern, die jetzt ganz allein durch ihr großes Haus geisterten.
    Er

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