Zeit der Raubtiere
Tanzveranstaltungen, wenn Sie ausgehen möchten.«
Hughes schwieg.
»Warum ziehen Sie so ein Gesicht? Mögen Sie keine Tanzveranstaltungen?«
»Im Augenblick eher nicht, nein. Die erinnern mich an meine Frau.« Er sah Nick in dem Kleid mit dem herzförmigen Ausschnitt vor sich. Ihm gefiel dieses Kleid.
»Du meine Güte, Sie sind ja wirklich verknallt«, sagte Eva. »Mal sehen, was wir dagegen tun können.«
In diesem Moment beschloss Hughes, auf der restlichen Fahrt kein Wort mehr zu sagen.
In London fuhr Eva vorsichtiger und bugsierte den Wagen um geparkte Autos, Löschzüge und Trümmer herum. Hughes fand es noch immer merkwürdig, von einer ausgebombten Stadt in die nächste zu fahren und dazwischen nur sanft gewellte Felder und hin und wieder ein Dorf zu sehen. Als er am einstigen Tabakgeschäft Dunhill vorbeikam, dachte er an seinen letzten Londonbesuch vor dem Krieg. Er war mit seiner College-Rudermannschaft gekommen, und in Erwartung eines Siegs über ihre englischen Gegner hatten sie dem Laden ziemlich betrunken einen Besuch abgestattet und ihre Zigarrenvorräte aufgestockt. Jetzt existierte nur noch das Ladenschild. Es lehnte an einem Trümmerhaufen.
»Diese verdammten Deutschen«, sagte er. »Sehen Sie sich das an!«
»Ja, manchmal könnte man wirklich glauben, die ganze Welt steht in Flammen.«
Eva stellte den Wagen ab, steckte ihre Dienstkarte hinter die Windschutzscheibe und schnipste mit dem Finger verächtlich dagegen. »Aber was könnten die schon dagegen ausrichten«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu Hughes.
Sie ging zielstrebig auf die Zitadelle der Admiralität zu, einen großen Hochbunker, der mit seinen Schießscharten und dem quadratischen Turm einem mittelalterlichen Gemäuer glich.
»Zauberhaft, was?« Sie lächelte ihm zu.
Hughes bemerkte, dass sie sich irgendwann zwischendurch die Lippen geschminkt und ihre Frisur wieder in Ordnung gebracht hatte. Wann eigentlich? Glaubte sie allen Ernstes, ein bisschen Lippenstift könnte von ihrer schlechtsitzenden Kleidung ablenken? Trotzdem, irgendwie waren die Sachen sexy. Er konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor eine Frau in Breeches gesehen zu haben.
Am Eingang und dann noch einmal an der mehrere Stockwerke tief unter die Erde führenden Treppe zeigten sie den Wachen ihre Ausweise vor. Eva kannte sich offenbar ziemlich gut aus. In einem bestimmten Stockwerk bog sie in einen Gang ein, kurz darauf in einen anderen. Sie mussten sich an einigen Marinebeamten vorbeizwängen, die Seekarten aus den Schubladen schwerer Holzschränke zogen. Ein weißes Wandtelefon läutete beharrlich, bis endlich eine Mitarbeiterin abnahm. Das Ganze erinnerte Hughes an die Jacob Jones unter Deck. Eng und dunkel, mit grüngestrichenem Stahl und Beton. Als sie endlich den Eingang zu der mit Sandsäcken geschützten Kommandozentrale erreicht hatten, zeigten sie noch einmal ihre Ausweise vor.
In dem Raum hing eine die ganze hintere Wand bedeckende Karte, auf der U-Boot-Stellungen und die Bewegungen der alliierten Konvois markiert waren. Vor dieser Karte befand sich ein Laufsteg aus Metall, auf dem mehrere weibliche Marineangehörige hin und her gingen, um die Markierungen entsprechend den ihnen von unten zugerufenen Stellungen zu versetzen. Bestürzt sah Hughes, wie nahe die Konvois den schwarzen Markierungen waren. Auf dem Schiff hatte man es nur mit Wasserbomben zu tun, die zwar ununterbrochen explodierten, aber nur selten trafen. Man wusste, dass die U-Boote da waren, wahrscheinlich sogar in unmittelbarer Nähe lauerten, aber da man sie nicht sah, konnte man sich einreden, in Sicherheit zu sein. Eva hatte recht gehabt, die Zitadelle, das waren »Karten und solche Sachen, und alle unglaublich beschäftigt«, aber jetzt, da er es mit eigenen Augen sah, bekam ihre Darstellung eine andere, schlimme Bedeutung.
Ein Lieutenant Commander schritt auf ihn zu.
»Ich glaube, Sie haben eine Depesche für mich, Lieutenant.« Der Mann schien förmlich durch Hughes hindurchzuschauen.
»Commander Napier«, sagte Hughes und nahm Haltung an. »Jawohl, Sir.« Er zog den Umschlag hervor und überreichte ihn.
Der Lieutenant Commander nickte schweigend und ging. Hughes blickte sich um und sah Eva im Gespräch mit einem Offizier. Sie lachte und warf dabei den Kopf so weit zurück, dass ihre Locken sich wieder zu lösen drohten. Er überlegte, ob er warten solle. Es erschien ihm unhöflich, nach der langen, merkwürdigen Fahrt ohne ein Wort zu gehen, aber gleichzeitig
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