Zeit der Raubtiere
hatte auch seiner Mutter geschrieben, Briefe voll des guten Mutes und der Zuversicht, den Krieg zu gewinnen. Er fand den Ton dieser Briefe ein bisschen widerlich, aber sie war bei seiner Abreise so aufgebracht gewesen, dass er es als seine Pflicht betrachtete, alles im bestmöglichen Licht zu schildern. Er stellte sich vor, wie sie mit wütend geballten Fäusten auf ihrer Chaiselongue lag und diese Briefe las.
In der Ferne flogen möwenähnliche Vögel mit tiefschwarzen Köpfen. Er sah ihnen beim Kreisen zu und dachte an deutsche Flieger und an den Ozean. Er dachte an Le Havre und fragte sich, wo die Division jetzt wohl war, wie viele Soldaten schon von den Panzern zerstückelt waren, wie viele Erfrierungen hatten und wie viele eines Tages von der Jacob Jones wieder über den Atlantik nach Hause eskortiert werden würden. Er lauschte dem unter ihm vibrierenden Motor und döste ein.
Als er aufwachte, war das Fenster beschlagen. Er griff in seine Manteltasche, fand das Päckchen Lucky Strikes, öffnete das Fenster einen Spalt und steckte sich eine Zigarette in den Mund.
Dann drehte er sich zu Eva und bot ihr eine an.
»Ah – ja, bitte!«, sagte sie und sah dabei zum ersten Mal aus wie das, was sie war: eine junge Frau, die sich aufs Rauchen freute.
»Wie alt sind Sie?«, fragte Hughes, während er eine Zigarette anzündete und sie ihr reichte.
»Vierundzwanzig.«
Durch das heruntergekurbelte Fenster strömte der intensive Geruch von nassem Gras und faulem Laub herein.
»Warum wollten Sie Meldefahrerin werden?«, fragte er und zog genüsslich an seiner Zigarette. Er war schon lange nicht mehr so entspannt gewesen.
»Warum fragen Sie?«
»Es liegt nun mal nahe.«
»Ja, natürlich. Dann muss die Antwort wohl ebenfalls naheliegen.«
»Abenteuerlust?«
»Ja. Außerdem mag ich es nicht, irgendwo festzusitzen.«
»Ich würde im Moment alles dafür geben, wenn ich irgendwo festsitzen könnte«, sagte Hughes.
»Ich meine nicht nur an einem Ort, sondern überhaupt.« Sie klang sehr bestimmt, aber Hughes hatte das merkwürdige Gefühl, dass sie gleich weinen würde.
Ihr Haar hatte sich aus den Klammern zu lösen begonnen, einzelne Strähnen ringelten sich an Gesicht und Hals entlang, und Hughes sah, dass sie eigentlich attraktiv war, wären da nicht die Breeches und die schlechtsitzende Jacke gewesen. Ihre Hände am Lenkrad wirkten sehr klein; er hätte gern die Handgelenke gesehen, die er sich zerbrechlich vorstellte.
»Und so haben Sie Ihr Motorrad und können wegfahren, wann immer Sie wollen, ja?« Er stieß den Rauch aus.
»Ganz so ungezwungen geht es auch wieder nicht zu.«
»Es ist bestimmt schön für Ihren Mann zu wissen, dass Sie Ihren Beitrag leisten und sozusagen an seiner Seite kämpfen.«
»Ach, so was gefällt Ehemännern? Mit diesen Dingen habe ich mich noch nie ausgekannt.« Es klang verächtlich. »Macht Ihre Frau das auch – ihren Beitrag leisten?«
»In gewisser Hinsicht durchaus«, sagte Hughes und sah sie eindringlich an. Ihr Ton gefiel ihm nicht. »Es gibt sie. Das reicht mir.«
»Wie süß.«
Hughes ignorierte die Bemerkung.
»Muss ja das reinste Wunder sein, Ihre Frau, wenn sie Ihnen durch ihre schiere Existenz solche Freude bereitet.«
»Ist sie auch.«
Eva sah ihn an. Sie wirkte plötzlich unsagbar traurig. »Ach, was soll’s«, sagte sie und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Straße zu.
Mehrere Minuten lang herrschte Schweigen. Dass er an eine solche Kratzbürste geraten musste! »Wie weit ist es noch?«, fragte er.
»Nicht mehr weit.« Sie klang wieder klar und geschäftsmäßig wie zuvor.
Hughes war erleichtert. »Ich bin noch nie in der Zitadelle der Admiralität gewesen. Wie ist es da so?«
»Na ja, Karten und solche Sachen. Und alle sind unglaublich beschäftigt.«
Er zündete sich noch eine Zigarette an. »Was machen Sie an Silvester?«
»Wollen Sie mich ausführen?«
»Was?« Hughes fühlte seine Wangen brennen und kam sich wie ein kleines Mädchen vor. »Nein, das war einfach eine Frage.«
»Sie brauchen sich nicht gleich so aufzuregen, ich habe doch nur Spaß gemacht.« Sie grinste ihn verschmitzt an.
Hughes lachte. Diese Eva Brooke war schon ein komischer Vogel. Wie eine Schauspielerin, die tausend verschiedene Rollen spielte.
»Ich weiß noch nicht genau«, sagte sie. »Vielleicht bin ich daheim bei meiner Familie. Ich habe ein paar Tage Urlaub.«
»Ach so.«
»Ihr Commander sagte, Sie hätten drei Tage frei. Es gibt bestimmt viele
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