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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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glaubte er, dass es vielleicht besser wäre.
    Er warf einen letzten Blick auf die Karte und trat an den Wachen vorbei durch die Tür. Im Gang blieb er stehen, weil er nicht mehr wusste, ob er von links oder von rechts gekommen war. Als er sich gerade für links entschieden hatte, drückte ihn jemand am Arm.
    »Sie haben doch nicht geglaubt, ich würde Sie dem Grauen aussetzen, allein tanzen zu gehen!«, sagte Eva.
    Hughes wusste nicht genau, warum, aber er war unendlich erleichtert.
     
    Eva hatte auf einem Taxi bestanden, was in Ordnung war, weil Hughes gerade seinen Sold erhalten hatte, und sie schafften es, eines zu ergattern. Als sie den Fahrer anwies, sie zum Claridge’s zu bringen, geriet er allerdings in Panik. Eva sah seinen Gesichtsausdruck und lachte.
    »Keine Angst, Lieutenant, Sie müssen mich nicht zum Abendessen einladen. Meine Familie hat dort ein Zimmer.«
    Sie schien sich seit der Ankunft in London schon wieder verwandelt zu haben, war entspannter, weniger mürrisch oder traurig oder was immer es gewesen war. Im Taxi zog sie die Klammern aus dem Haar und steckte sie in ihre Jacke.
    Hughes fragte nicht, warum sich ihre Familie ein Zimmer im Claridge’s leisten konnte, und es war ihm eigentlich auch egal. Ihm genügte die Aussicht, das Hotel sehen zu dürfen, in dem alle einschließlich seines Helden Churchill verkehrten.
    Als sie vorfuhren, musste er lächeln. Genau wie vor der Kommandozentrale in der Zitadelle türmten sich auch hier an dem prächtigen Eingang die Sandsäcke, als gäbe es keinerlei Unterschied zwischen Arbeit und Freizeit. Und wie vor der Zitadelle marschierte Eva auch im Hotelfoyer zielstrebig dahin und ließ ihre komischen Stiefel auf dem glänzenden schwarz-weißen Marmorboden knallen. Diesmal aber sah Hughes keinen Grund, mit ihr Schritt zu halten. Er betrachtete den Kronleuchter und die bequem aussehenden Clubsessel. Über dem warm leuchtenden Kamin hing das irritierende Porträt einer Frau mit sehr starrem Blick. Am Empfang stellte er sich neben Eva.
    »Guten Abend, Lady Eva«, sagte der ältere Mann an der Rezeption.
    Lady Eva? Wer zum Teufel war dieses Mädchen?
    »Guten Abend, Winson«, erwiderte Eva.
    »Nicht zu kalt für Sie, die Fahrt heute, wie ich hoffe.« Er reichte ihr einen Schlüssel, an dem ein Messingschild mit der Aufschrift »Claridge’s Room 201« hing.
    »Musste heute leider mit dem Auto fahren.«
    »Sehr gut.«
    Eva wandte sich an Hughes: »Der Lift ist dort drüben.« Sie fasste ihn unter und führte ihn durchs Foyer.
    »Das scheint ja ein ziemlich tüchtiger Bursche zu sein«, sagte Hughes und lächelte zu ihr hinunter. »Lady Eva.«
    »Ja, Winson ist unentbehrlich«, sagte Eva, ohne auf die Erwähnung ihres Titels einzugehen. »Und sei es nur wegen seiner launigen Sprüche.«
    Sie blieben vor dem Aufzug stehen. »Ich muss nur kurz ein Bad nehmen und die Sachen da ausziehen«, erklärte Eva. »Danach spendiere ich Ihnen einen Drink in der Causerie.«
    Hughes nahm ihre Hand von seinem Arm und sagte: »Ich warte hier unten.« Er kam sich ein bisschen tölpelhaft vor. »Und dann spendiere ich
Ihnen
einen Drink.«
    »Seien Sie nicht albern«, entgegnete Eva. »Niemand wartet im Foyer.« Mit diesen Worten schob sie ihn in den Aufzug.
    Der Liftboy zog, den Blick zur Decke gerichtet, die Innentür zu.
    Auf dem Weg zu Zimmer 201 blieb Hughes stehen und weigerte sich, auch nur einen Schritt weiterzugehen. »Ich werde hier draußen bleiben. Und versuchen Sie mir nicht weiszumachen, niemand würde im Foyer warten!«
    »Man wird Sie für abartig halten oder für meinen Liebhaber, der auf ein Zeichen wartet – aber bitte, ganz wie Sie wollen!«
    »Das gibt’s doch nicht«, murmelte Hughes und wischte hinter ihr ins Zimmer hinein.
    Beim Anblick der geschwungenen Wurzelholzschränke und des vornehmen Teppichbodens verfluchte er sich. Mit Eva würde er sich Ärger einhandeln, aber das hatte er, wenn er ehrlich war, schon gewusst. Er dachte an Nick, die mit Helena in dem zugigen Mietshaus in der Elm Street wohnte, und bekam ein schlechtes Gewissen. Er durfte nicht hier sein. Gleichzeitig war ihm klar, dass er hier sein wollte, und wenn er Schuldgefühle hatte, dann allein deshalb, weil er eigentlich keinen Gedanken an Nick verschwendete.
    »Setzen Sie sich hierhin«, sagte Eva und deutete auf einen cremefarbenen Sessel.
    Hughes blieb stehen.
    »Jetzt seien Sie nicht albern. Da – lesen Sie das, damit Sie etwas zu tun haben.« Sie reichte ihm ein Exemplar der

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