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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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»Illustrated London News«.
    In der Titelgeschichte ging es um die Ardennenoffensive, die gerade in Belgien tobte, und um die entsetzlichen Wetterbedingungen. Wieder dachte Hughes an die Division, die sie in Le Havre ausgeschifft hatten. Er ließ sich in den Sessel fallen und fuhr sich durchs Haar.
    »Ich brauche nicht lange«, rief Eva aus dem Badezimmer, und als Hughes aufsah, erhaschte er gerade noch einen Blick auf ein grünes Marmorwaschbecken, ehe sich die Tür schloss.
    Die Hähne wurden aufgedreht, Wasser rauschte. Er sollte jetzt wirklich gehen. Er konnte ja in der Bar auf sie warten.
    Stattdessen blätterte er in dem Magazin und begann einen Artikel zu lesen, in dem beschrieben wurde, wie es Londoner Familien an Weihnachten geschafft hatten, auf pfiffige Weise mit ihren Lebensmittelzuteilungen Rosinenküchlein und Mince Pie zu backen. Die Lektüre machte ihn hungrig. Er fragte sich, was Nick an Weihnachten gegessen hatte. Sie war bei seinen Eltern gewesen, deren Köchin Susan sehr gewitzt war, wenn es galt, auf dem Schwarzmarkt Lebensmittel zu organisieren – zumindest hatte Nick ihm das in neidvollem Ton geschrieben. Nick hatte einen geradezu gierigen Appetit auf das Leben, der sich nur schlecht mit Rationierungen und Notbehelfen vertrug. Er erinnerte sich daran, wie sie gewissenhaft ihre Butterrationen zusammengespart hatte, um einen Pie backen zu können. Sie war ungeduldig und handelte in manchen Dingen überzogen, aber genau das hatte ihn von Anfang an begeistert. Diese Überzeugung, sie brauche nur nach dem Leben zu greifen. Und ihre merkwürdige Verletzlichkeit. Die hatte ihn schon bei der ersten Begegnung mit ihr fasziniert und den Wunsch in ihm geweckt, ein Teil all dessen zu werden, was sie verhieß. Doch mittlerweile fühlte er sich nicht mehr so stark, während sie sich nicht verändert hatte, und das beunruhigte ihn.
    Er hörte Eva im Bad planschen und singen. Das Ganze war einfach lächerlich. Er stand auf und trat an den glänzenden Schreibtisch vor dem Fenster. Er würde ihr schreiben, sie solle sich unten in der Bar mit ihm treffen. Er nahm den Füllfederhalter und ein Blatt vom Hotelbriefpapier aus der Schachtel. Doch dann wurde ihm klar, dass er nicht wusste, welche Anrede er gebrauchen sollte. »Liebe Eva« oder nur »Eva« oder »Mrs. Brooke«? Am besten vielleicht ganz ohne Anrede. Nur: »Unten in der Bar.« Aber das klang unhöflich. Er starrte auf das leere Blatt. Dann ergriff er den Füller und schrieb:
     
    Ich erwarte Ihre Ladyschaft in der Bar.
    Hughes
     
    Lächelnd las er es noch einmal. Das wird sie in Rage bringen, dachte er. Doch gerade, als er die Nachricht auf das Kissen legen wollte, wo sie seiner Überzeugung nach nicht zu übersehen war, wurde die Badezimmertür geöffnet. Er drehte sich um. Von edlen schwarzen Fliesen umrahmt, stand sie da, nackt, wie Gott sie geschaffen hatte.
    »Hallo«, sagte sie.
    Hughes brauchte ein paar Sekunden, bis sein Gehirn erfasst hatte, dass er sie wirklich und wahrhaftig sah. Sie war klein und blass und hatte schöne, schwere Brüste, die unter der großen Jacke verborgen gewesen waren. Und breite Hüften, die an eine Sanduhr erinnerten. Ihre Haarspitzen klebten an den nassen Schultern. Was seinen Blick aber anzog und nicht mehr losließ, war ihr Schamhaar, ein großes, dunkles, buschiges Dreieck. Ihm kam der seltsame Gedanke, dass es so anders war als das seiner Frau, das einer flachen Rankpflanze an einem Spalier glich.
    Eva stand noch immer da, die Hände an den Seiten, und blickte ihn offen und ohne jede Verlegenheit an. Das machte ihn wütend.
    »Ziehen Sie sich etwas über«, sagte er kühl und zerknüllte das Papier in seiner Hand.
    »War das für mich?«, fragte sie und deutete auf das Papierknäuel. »Was stand denn drauf?«
    Hughes weigerte sich, den Blick abzuwenden; es wäre ein Zeichen der Schwäche gewesen. »Nun bedecken Sie doch endlich Ihre Blöße, Mrs. Brooke!« Er war sauer, doch seine Stimme klang tonlos.
    Eva schüttelte den Kopf, als hätte sie Mitleid mit ihm. »Ach, sind wir jetzt wieder bei Mrs. Brooke, ja?«
    »Wir sind nirgendwo«, entgegnete Hughes. Seine Hände begannen zu zittern. »Sie sind nun mal Mrs. Brooke – was Sie aber offensichtlich vergessen haben.«
    »Ich habe es nicht vergessen, Lieutenant, glauben Sie mir.« Sie schlenderte zum Kleiderschrank, öffnete ihn und strich über die Kleider, als könnte sie sich nicht entscheiden, was sie anziehen sollte.
    Hughes war klar, dass er nicht

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