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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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er mir eine große Menge von der Medizin her (die ganz angenehm schmeckte, da sie mit Malagawein aufgegossen war) und gab mir ein Gros Flaschen davon. Ich sah an der Tür seines Ladens eine der seltsamen, vogelähnlichen Kopfbekleidungen hängen, die Ärzte tragen, wenn sie in die Pesthäuser gehen, und ich fragte ihn, ob ich sie mir ausleihen dürfe. »Ihr könnt sie behalten, Sir«, sagte er, »denn dieser Arzt kommt nicht mehr hierher und geht auch nirgends mehr hin; er hat aufgehört zu atmen.«
    Ich holte sie herunter und legte sie an. Diese Kopfbekleidungen sind aus Leder und bedecken Kopf, Gesicht und Schultern. Zum Sehen sind zwei Gläser eingesetzt und zum Atmen ein langer Schnabel, durch den man allerdings nicht allzuviel Luft bekommt, da in ihn ein Kissen mit einer Duftmischung eingelegt ist, das den Träger vor der verpesteten Luft schützen soll. Zu der Kopfbedeckung gehören auch ein Ledermantel (ähnlich den Überwürfen, die wir im Whittlesea zu tragen pflegten) und dicke Handschuhe, ebenfalls aus Leder, die bis zu den Ellbogen reichten. Als ich diese Kleidungsstücke angelegt hatte, wußte ich, daß mich nun, ganz gleich, wer ich jetzt war – ob Robert oder Merivel oder keiner von beiden oder eine Mischung aus beiden –, niemand mehr erkennen würde, auch die nicht, die mich gut kannten. Ich sah nicht einmal mehr wie ein Mensch aus, sondern eher wie eine Ente, und dies kam mir sehr passend vor, denn da ich mich anschickte, Pearces Vorbeugungsmittel feilzubieten, dessen Wirksamkeit nie bewiesen worden war, würde ich kaum etwas anderes als ein Quacksalber sein.
    Diese Erkenntnis bereitete mir zwar eine Weile Unbehagen, konnte aber nicht verhindern, daß ich, als ich in meiner Entenverkleidung nach Cheapside zurückging und mich
im Glas eines niedrigen Fensters sah, in Lachen ausbrach. Selbst in meinem Fellüberwurf oder meiner Dreimastbarke hatte ich nicht so überaus und in jeder Hinsicht lächerlich ausgesehen. Ich lachte so lange und unbeherrscht, daß mir alle Entgegenkommenden, wie ich durch meine Augenlöcher sehen konnte, aus dem Weg gingen, weil sie glaubten, ich sei plötzlich, mitten auf der Straße, verrückt geworden.
     
    Ich will nun den Verlauf des Winters beschreiben.
    Im Dezember ging ich in ein Pesthaus und fand dort einen Mann vor, der gerade an dieser Krankheit gestorben war, sowie seine Frau, die an seinem Bett kniete, seine tote Hand hielt und weinte. Ich fragte sie, was ich für sie tun könne, und sie erwiderte, ihr könne niemand auf der ganzen Erde mehr helfen, sie wisse ja, daß es bei ihr nun bald mit dem Niesen und dem Frösteln, den ersten Anzeichen der Pest, losgehen würde. Ich wollte mich schon umdrehen und wieder gehen, als ich mich sagen hörte (mit einer Stimme, die ich nicht als meine eigene erkannte, so gedämpft war sie durch den Entenschnabel): »Wenn Euch niemand auf der Erde mehr helfen kann, warum laßt Ihr Euch dann nicht von einem John Pearce, der unter der Erde ist, vor dem Tode bewahren?«
    Ich hielt ihr eine Flasche mit der Medizin hin. Sie blickte einen Augenblick darauf, schüttelte dann aber den Kopf und weinte weiter. Obwohl ich in größter Geldverlegenheit war, brachte ich es nicht über mich, diese tapfere, untröstliche Frau um die drei Shilling und drei Pence zu bitten, die ich gewöhnlich für die Medizin berechne. Daher nickte ich ihr nur zu, verließ das Haus und ließ die Flasche auf dem Tisch zurück. Vier oder fünf Wochen später spürte mich diese Frau auf, nachdem sie mich mehrere Tage gesucht hatte, legte mir
die Arme um den Hals und küßte mich auf meinen Schnabel. Sie hatte die Medizin genommen, und die Pestsymptome waren ausgeblieben, und so glaubte sie nun, ich hätte sie gerettet.
    Dieser Erfolg sprach sich herum, und von da an florierte mein Geschäft. Die Leute kamen in Frances Elizabeths Haus und fragten nach der Medizin, so daß ich nicht mehr in Pesthäuser gehen und mich um Kunden bemühen mußte. Frances Elizabeth häufte Kohle auf ihre Feuer, verbrannte Kräuter und vermied es, den Fremden an der Tür zu nahe zu kommen. Immer öfter blieben sie und Katharine oben im Schlafzimmer, Katharine im Bett (wo ich gelegentlich mit ihr schlief, ohne ihr zu sagen, daß ich es aus Einsamkeit und Bedürfnis, nicht aus Begehren tat) und Frances Elizabeth in einem Schaukelstuhl. Die beiden träumten von dem Kind, das unterwegs war, und nähten Häubchen und strickten Decken für seine kleine Krippe. Zuweilen zog Katharine ihre

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