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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Röcke hoch und legte die Hände auf ihren Bauch, der bei Jahresbeginn so groß und schwer geworden war, daß sie aussah wie eine Frau, deren Zeit gekommen war. Ihre Mutter legte dann liebevoll den Kopf mitten auf den Leib, wo der Nabel wie eine Rosenknospe vorstand, um das Stoßen der Arme und Beine des Säuglings zu fühlen. Sie schienen die Geburt so leidenschaftlich herbeizusehnen, daß dieses Sehnen ihre ganze Zeit in Anspruch nahm. Das Briefeschreiben wurde vernachlässigt, und selbst ich, der ich unten in der Wohnstube mit meinen Flaschen saß, wurde vergessen, so daß ich manchmal die Illusion hatte, wieder frei zu sein wie als Student und nicht an Katharine oder sonst jemanden gebunden, und daß ich nach Cheapside hinausgehen und mein Leben noch einmal ganz von vorn beginnen konnte.
    Ich schenkte dem ungeborenen Kind nicht allzuviel Beachtung. In meiner Vorstellung gehörte es nur zu Katharine und ihrer Mutter, nicht mir, so, als wäre es ein Geschenk von mir. Sie wollten ein männliches Geschenk. Sie wollten einen Sohn, der es im Patentamt zu Wohlstand bringen würde, und nannten ihn Anthony, nach dem toten Vater. Eines Abends wurde ein Astrologe herbeizitiert. Dieser runzelte die Stirn, als er hörte, daß ich im Zeichen des Wassermanns geboren sei, und flüsterte ein paar Worte vor sich hin, die ich nicht verstehen konnte. Er sagte voraus, daß das Kind kräftig und gesund sein und in seiner Kindheit »sehr hübsch lachen« lernen würde. Als voraussichtliches Geburtsdatum nannte er den 25. Februar. Um zehn Shilling reicher ging er wieder weg und ließ Katharine und Frances Elizabeth enttäuscht darüber, daß er nicht mehr gesagt hatte, zurück.
    »Wozu ist Lachen nütze?« seufzte Frances Elizabeth. »Davon ist noch keiner reich geworden.«
     
    Wieder einmal rückte mein Geburtstag heran. Ich erwähnte nichts davon, und es gab keine Feier. Ich war den ganzen Tag über verdrießlich, da mir der dumme Dégueulasse und die falschen Hoffnungen seiner Frau und Töchter eingefallen waren. Als es Abend wurde, mußte ich an Celia denken, an ihre Anmut und Lieblichkeit und an ihren Gesang.
    In der gleichen Woche traf ich beim Apotheker einen Mann, der schon neunundneunzig Jahre alt war. Dieser erzählte mir, daß man in der Ermüdung der Erde die Ursache der Pest sehen müsse und daß dies erst der Anfang vom Weltuntergang sei. Ich konnte ihn trotzdem überreden, eine Flasche von Pearces Vorbeugungsmittel zu kaufen, da es sein sehnlichster Wunsch war, nicht zu sterben, ehe er hundert Jahre
alt war. Bevor er seine Flasche bezahlte, fragte er mich aber, was in der Mixtur sei. Ich sagte ihm, daß sie zerstoßene Raute, Salbei, Safran mit gekochter Butterblumenwurzel, Schachblumenwurzel und Salz enthalte und daß diese Ingredienzen mit Malaga aufgegossen seien. Er lächelte und nickte, bezeichnete die Medizin als »schlau« und schickte sich an, den Laden zu verlassen. Als er ging, sah ich, daß der Apotheker sich unterwürfig vor ihm verneigte.
    »Wer ist dieser alte Mann?« fragte ich ihn.
    »Das wißt Ihr nicht?« war die Antwort des Apothekers. »Habt Ihr nicht die breite Nase und diesen gewissen Zug um den Mund erkannt?«
    »Nein.«
    »Oh. Nun, ich jedenfalls sehe eine gewisse Familienähnlichkeit. Er ist der einzig überlebende Bruder William Harveys.«
    Aus mir nicht ganz ersichtlichen Gründen war mir diese Eröffnung so nahegegangen, daß ich, anstatt nach Cheapside zurückzukehren, wie ich es ursprünglich vorgehabt hatte, zur unweit gelegenen Schenke »The Faithful Dray« ging und mir einen kleinen Krug Wein bestellte.
    Ich hatte so lange keinen Wein getrunken, daß ich schon nach wenigen Schlucken vollkommen betrunken war, und so saß ich in meiner Ecke, dümmlich vor mich hin nippend und froh darüber, daß mich im »Faithful Dray« niemand kannte und ich mich daher mit niemandem unterhalten mußte. Ich wollte gerade einen zweiten Krug bestellen (da ich mich inzwischen daran erinnert hatte, daß einsames Trinken ein seltsam angenehmer Zeitvertreib sein konnte), als ich jemanden sehr sanft und höflich sagen hörte: »Guten Morgen, Sir Robert.«
    Ich sah auf. Vor mir stand ein Mann, der so ausgemergelt
und dünn war, daß sein Gesicht größere Ähnlichkeit mit einem Skelett hatte als die angemalten Gesichter der Flagellanten. Über diesem hageren Gesicht trug er eine blonde, sicher einstmals prächtige Perücke, die jetzt aber verfilzt, schmierig und von altem Puder verklebt war. Über seinem Rücken

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