Zeit der Sinnlichkeit
keine Anerkennung zollte, war so groß, daß er an seinem Körper und an seinem Verstand nagte. Er wurde buchstäblich aufgezehrt davon.
All das erzählte Finn mir im »Faithful Dray«. Wir betranken uns dermaßen, daß wir bewußtlos zu Boden fielen, und als wir wieder aufwachten, war es dunkel, und der Wirt war
gerade dabei, einen Eimer Wasser über uns auszuleeren. Wir gingen hinaus auf die Straße und erbrachen uns in die Gosse. Ich nahm Finn mit mir nach Hause nach Cheapside, und Katharine und Frances Elizabeth sahen von ihren Näharbeiten auf und in sein hohlwangiges, verhärmtes Gesicht. Ich lud ihn ein, am Tisch Platz zu nehmen, und nach einiger Zeit wurde uns ein Eintopf mit Hachsenfleisch und Gerste serviert. Als Finn ihn in sich hineinlöffelte, sah ich, daß ihm Tränen die Wangen hinunterliefen. Sie tropften in seinen Eintopf und machten ihn noch salziger und wäßriger, als er schon war.
Finn schlief in dem kleinen, dunklen Zimmer, in dem Frances Elizabeth ihre Briefe schrieb. Er mochte den Geruch von Tinte, Papier und Siegelwachs in diesem Raum und fragte mich nach der ersten Nacht, ob er einen Monat oder auch zwei (»nur bis der Frühling kommt, Sir Robert …«) bei der niedrigen Miete, die er sich als Kulissenmaler leisten konnte, bleiben könne.
Frances Elizabeth stimmte zu. Ihr Haus füllte sich allmählich mit Leuten, doch das schien sie nicht zu stören. Sie machte jetzt nicht mehr den Eindruck einer ängstlichen, nörgelnden Person, sondern war ruhig und geduldig geworden, und ich vermute, daß die Jahre der Einsamkeit für sie nur sehr schwer zu ertragen gewesen waren. Sie sprach nie mit mir über Katharines Irresein oder über den Tag, an dem sie ihre Tochter nach Whittlesea gebracht hatte, oder über ihre Beweggründe, sie wegzugeben. Sie sagte auch nie, daß sie Katharine für geheilt hielt. Es war gerade so, als wollte sie sich nicht an die Vergangenheit erinnern, sondern die Gegenwart genießen und Pläne für die Zukunft schmieden, in der ihr En
kelsohn auf die Welt kommen und zum Mann und zur Verantwortung heranreifen würde, so daß die Frauen sich ausruhen könnten.
Nach dem Eintreffen Finns jedoch, als sie hörte, daß dieser mich mit »Sir Robert« anredete, setzte sie einen Brief an das Oberste Kirchengericht auf, in dem sie um die Erlaubnis für die Scheidung ihrer Tochter von dem Steinmetz bat, »der sich in Luft aufgelöst hat«, damit diese den Vater ihres Kindes heiraten könne. Ich setzte mich zu Frances Elizabeth und nahm ihr freundlich den Federkiel aus der Hand. Ich wollte ihr sagen, daß auch ich verheiratet sei, und zwar durch den König selbst, doch dann hatte ich das Gefühl, daß ich über diese Dinge nicht mit Katharines Mutter sprechen konnte. Daher ließ ich sie lieber wissen, daß meiner Meinung nach »Luft« nicht mit zwei »f« geschrieben werde und daß ihre Schrift in diesem Brief nicht so elegant wie sonst sei und daß die Kirchenleute, die »großen Wert auf Darstellung und das äußere Erscheinungsbild legen«, in ihrer Entscheidung von der Schönheit einer Schrift beeinflußt würden. Sie zerriß den Brief und fing von neuem an, doch ich schaute ihr nicht mehr zu.
Zwei Dinge brachten mir in dieser Zeit ein wenig Trost: zum einen das Wissen, daß Finn nach seinem Verrat an mir gelitten hatte, und zum anderen die Entdeckung, daß wir einander nach allem, was wir durchgemacht und getan hatten, gut leiden konnten. Ich hatte das Gefühl, ihn beschützen zu müssen. Und er glaubte, daß unser Treffen im »Faithful Dray« eine Gottesfügung war und daß er, wenn er bei mir blieb, erkennen würde, wo seine Zukunft lag, geradeso, als wäre er das Modell auf einem Portrait, das eines Tages so weit zum Leben erwacht, daß es sich umdrehen und die Waldlich
tung hinter sich sehen kann, und auf diese Art entdeckt, daß es von dem tristen Vordergrund des Bildes zu einem Ort des Entzückens gelangen kann.
Wir sprachen nicht sehr oft über den Hof, auch nicht über die Mißlichkeit seiner und meiner Situation. Wir sprachen über Norfolk und darüber, daß wir beide seinen weiten Himmel, seinen nassen Wind und die Ordnung und den Frieden seiner großen Parks so sehr liebten. Wir sprachen über die indische Nachtigall, die wir beide, jeder auf seine Art, als etwas Wichtiges in Erinnerung hatten. Und wir sprachen über Katharine und auf welche merkwürdige Art und Weise wir uns manchmal, ohne es eigentlich zu wollen, bis in alle Ewigkeit an jemanden
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