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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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hing ein zerrissener grüner Umhang, und die Hand, die er mir entgegenstreckte, steckte in einem ebenfalls grünen Handschuh. Ich starrte ihn blinzelnd an. Und dann dämmerte mir langsam, wer er war. Es war Finn.
     
    Wenn er nicht den Mut gehabt hätte, sich bei mir zu entschuldigen, weil er für den König spioniert hatte, wäre ich ohne Rücksicht auf seinen traurigen Zustand aufgestanden und weggegangen. Doch seine ersten Worte waren Worte der Entschuldigung, denen eine Schilderung dessen folgte, was er erlebt hatte. Mitleiderregend war beides, die Entschuldigung und seine Geschichte, erstere, weil sie so stammelnd und ungeschickt vorgetragen wurde, letztere, weil sie so voller Leiden und Demütigungen war.
    Ihr werdet Euch erinnern, daß Celia mich, als ich mit Masern und hohem Fieber darniederlag, verließ und zum König zurückkehrte, wobei sie Finn und das fertiggestellte Portrait mitnahm.
    Während dieser Reise hing Finn seinen Träumen nach. Er träumte davon, daß ihm der König auf die Schulter klopfen und eine Börse voller Goldstücke in die Hand drücken würde. Er träumte von all den Aufträgen, die nun folgen würden (wie schön klingt doch dieses Wort »Auftrag« für alle unbekannten Künstler und Poeten!), und von all den arkadischen Landschaften seiner Phantasie, in die er seine berühmten Modelle setzen würde.
    Nach den Träumen kam die Ankunft. Celias Portrait wurde aus der Kutsche gehoben, und Finn trug es selbst die lange Steingalerie entlang, da er glaubte, daß sich ihm bei diesem Anlaß die Türen zu den Gemächern des Königs sofort öffnen würden. Doch das taten sie nicht. Er wartete zwei Tage lang in der Steingalerie, wobei er in einem solchen Hochgefühl angesichts der bevorstehenden Beförderung war, daß er seinen Platz nur einmal verließ, um etwas Brot und Wurst zu essen und sich zu erleichtern. Er schlief mit dem Kopf auf dem Steinboden.
    Am dritten Tag wurde er vorgelassen. Der König blickte von oben herab auf das Portrait (hinter dem Finn demütig kniete) und ließ Lampen bringen. Dann beugte er sich von seiner großen Höhe herab und kratzte mit einem Fingernagel an der Farbe. Etwas gebrannte Umbra blätterte ab und klebte an seinem Finger. Der König sah sich den Farbsplitter genau an und rief nach einem Seidentaschentuch, um ihn darauflegen zu können. Das Taschentuch wurde ihm gebracht. Er wedelte damit gegen das Bild. »Zu bunt«, sagte er, »und seicht. Das genaue Gegenteil von Lady Merivel. Nehmt es weg!«
    Finn sah wohl, daß es der reinste Wahnsinn war zu protestieren. Ihm war klar, daß es keinen Zweck hatte, mit dem König zu streiten, weil er dann nur das wenige Geld, das er für das Portrait bekommen würde, wenn er schwieg, auch noch verlieren würde. Trotzdem erhob er Einspruch. Er kam hinter seinem Bild hervor und fing an zu erläutern, wieviel Mühe er sich damit gegeben, wie sorgfältig er den Hintergrund gemalt habe und wie zufrieden Celia mit ihm und dem Bild gewesen sei. Der König drehte ihm den Rücken zu und ging weg in Richtung Schlafgemach. Finn rief hinter ihm her,
daß er ihm zumindest die vertraglich versprochenen sieben Livres schulde und daß niemand einem König von England vertrauen würde, der sein Wort nicht hielt. Der König blieb stehen und rief nach seinen Wachen. Finn wurde festgenommen und zum Tower gebracht.
    Man ließ ihn sieben Monate im Tower schmachten. Er wurde nicht unter Anklage gestellt, sondern einfach vergessen. Schließlich führte Celias Fürsprache zu seiner Freilassung. Er wurde angewiesen, nie wieder nach Whitehall oder einem anderen Ort, an dem sich der König aufhielt, zu kommen. Er machte sich auf den Weg nach Norfolk, in der Hoffnung, daß Violet Bathurst ihm helfen würde, doch er fand den Bathurst-Haushalt in Auflösung vor. Der alte Bathurst war gestorben und in seinem Mausoleum beigesetzt worden, und Violet – man konnte nicht sagen, ob aus Kummer über seinen oder meinen Verlust – suchte jeden Tag Vergessen in den guten Alicante-Weinen, die ihr verstorbener Mann in seinem Keller gehortet hatte. Sie gab Finn vierzehn Shilling und den ausgestopften Kopf eines Marders und schickte ihn fort. Als er ihr Haus verließ, wurde er noch von einem von Bathursts Hunden gebissen, der lange kein Blut mehr geschmeckt hatte.
    Also kehrte er nach London zurück, wo er glaubte, sterben zu müssen. Er verdiente sich seinen kargen Lebensunterhalt mit Kulissenmalen, doch sein Zorn auf den König und auf eine Welt, die ihm

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