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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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binden.
    Seitdem Finn im Hause war, brauchte ich mir, wenn ich nachts nicht schlafen konnte, nur vorzustellen, wie er unten auf seinem Feldbett lag, und schon fühlte ich mich nicht mehr so einsam. Ich hoffte daher, daß er auch nach der Geburt des Kindes noch dasein und neben den Tintenfässern schlafen würde.
     
    Wie der Astrologe es vorhergesagt hatte, platzte Katharines Fruchtblase am frühen Morgen des 25. Februar.
    Ich zog mich schnell an und stellte brennende Kerzen rund um das Bett. Frances Elizabeth legte Kohle auf und verließ das Haus, um die Hebamme zu holen, die in der St. Swithins Lane wohnte. Finn wachte auf und wanderte, vor sich hin starrend, in seinem Nachtgewand im Haus umher.
    Die Hebamme war eine scheue Person, klein, ja geradezu zierlich. Sie sah wie eine Blumenverkäuferin aus. Ich fragte Frances Elizabeth: »Hast du vielleicht die falsche Frau geholt?« Doch ich wurde weggescheucht. Nur Frauen werden
bei der Geburt geduldet, als solle der Vorgang für immer vor dem Mann geheimgehalten werden.
    Bevor ich das Zimmer verließ, fragte ich Katharine, ob sie Angst habe. Sie erwiderte, daß körperliche Schmerzen sie nicht erschrecken könnten, nur seelische. »Daß du mich verlassen könntest, macht mir angst«, sagte sie, »sonst nichts.«
    Zum Frühstück aßen Finn und ich etwas Schokoladenkuchen, und dann begleitete ich ihn zum Theater, wo er, wie er mir eingestand, an ein paar venezianischen Säulen aus dünnem Holz arbeitete. »Nun«, konnte ich mich nicht enthalten zu sagen, »dann wirst du einen angenehmen und leichten Tag haben, Finn, denn du hast ja reichlich Übung mit Säulen.« Ich dachte, er würde lächeln, doch das tat er nicht. Er schien wirklich bedrückt zu sein.
    Ich bummelte langsam nach Hause, holte auf dem Weg bei einem Apotheker ein paar Opiumkörner, falls Katharine nach der Geburt beruhigt werden mußte, um schlafen zu können, und stattete dann, wie es mir zur morgendlichen Gewohnheit geworden war, dem »Faithful Dray« einen Besuch ab, um ein oder zwei Glas Wein zu trinken. Als ich schließlich nach Cheapside zurückkam, war es schon Mittag, und ich erwartete, beim Betreten des Hauses zu hören, daß mein Sohn Anthony schreiend zur Welt gekommen sei.
    Aber er war noch nicht zur Welt gekommen. Das Haus war voller Lärm von Frauen, Nachbarinnen von Frances Elizabeth, die gekommen waren, um zu helfen, zu klatschen und mit uns zu warten. Sie häuften Kohle auf, so daß die Feuer noch stärker brannten, und löschten diese dann mit beißend riechenden Tränken. Eine von ihnen stellte einen Berg von Marmeladekuchen her. Eine andere, eine Wäscherin wie Rosie, wusch alle Krippendecken und hängte sie in der Wohn
stube zum Trocknen auf einen Wäscheständer. Wieder eine andere sang schottische Lieder, für jedes ihrer sieben Kinder eins, und dann noch eins für ihr achtes Kind, das gestorben war.
    Von Zeit zu Zeit wurde mir über Katharine berichtet. Die Wehentätigkeit war träge. Ihr Körper, wenn auch kräftig gebaut, war schwach; er schien dem Kind nicht helfen zu können, auf die Welt zu kommen. Es wurde langsam Nachmittag, dann kam die Abenddämmerung, und Katharine lag noch immer in den Wehen, die ihr etwa alle zehn Minuten so heftige Schmerzen bereiteten, daß ich ihre Schreie noch in der Wohnstube hören konnte, wo ich herumsaß und wartete und mir die Zeit damit vertrieb, Arpeggios auf meiner Oboe zu spielen.
    Finn kam zurück, und wir beide und die Frauen nahmen ein kärgliches Abendessen aus Marmeladekuchen ein, zu denen es eine Vanillesauce gab. Danach fühlte ich mich sehr schläfrig, da ich so früh am Morgen geweckt worden war, und ich wäre zu Bett gegangen, wenn ich eins gehabt hätte. Also spielte ich mit Finn Rommé, döste aber über den Karten, so daß er fünf Spiele hintereinander gewann. Er ging dann zu seinem Feldbett im Tintenzimmer, und ich legte mich auf eine Wandbank, und eine der Frauen deckte mich mit einem wollenen Umhang zu. Ich fiel in jene Art teuflischen Halbschlaf, der voller Träume und Tagträume ist, die in- und auseinanderfließen.
    Es war jedoch schon Morgen, als ich schließlich aufwachte. Ich setzte mich mühsam auf und lauschte. Nach einer kleinen Weile hörte ich Katharines Schrei, doch er war so schwach und kläglich, als habe sie eigentlich gar nicht mehr die Kraft, überhaupt noch einen Laut von sich zu geben.
    Ich stieg die Stufen hinauf und klopfte an die Tür des Schlafzimmers. Die Hebamme öffnete und ließ mich eintreten.

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