Zeit der Sinnlichkeit
Ich ging zum Bett, neben dem Frances Elizabeth saß und Katharines Hände in den ihren hielt. In diesem Augenblick wurde Katharines Körper wieder von dem Schmerz erfaßt, und ich sah, wie er sich aufbäumte und wie sie den Mund zu einem Schrei öffnete, der aber nicht herauskam, da sie, wie ich vermutet hatte, zu erschöpft war. Ich sah sie an und berührte sanft ihr Gesicht. Es war wächsern und kalt, und ihre Lippen waren weiß und aufgesprungen. »Katharine …«, flüsterte ich, doch sie konnte nicht sprechen oder auch nur lächeln.
»Was kann man tun?« fragte ich die Hebamme.
»Das Kind ist groß, Sir, und sie kann es nicht aus sich herauspressen.«
»Und was kann man da tun?«
»Wir können nichts tun. Nur beten und warten.«
»Und dann?«
»Wenn sie anfängt wegzurutschen …«
»Wie?«
»Ich habe einmal gesehen, wie eine Mutter anfing wegzurutschen, und dann gibt es nur noch eine Möglichkeit, sie zu retten.«
»Den Leib aufzuschneiden?«
»Ja. Einen Chirurgen zu holen.«
Ich nickte. Ich sah Frances Elizabeth an, doch sie erwiderte meinen Blick nicht. Vielleicht wußte sie ebensogut wie ich, daß der Chirurg, um Katharines Leben zu retten, das Kind opfern würde, es sogar, wenn nötig, aus ihrem Körper herausschneiden würde. Glied um Glied.
Ich verließ das Zimmer und ging hinunter in die Wohnstube. Das Feuer war heruntergebrannt, so daß ich etwas Kohle nachlegte. Ich kniete mich still davor hin.
Um halb elf Uhr hörte ich, wie zwei Frauen das Haus verließen, und ich wußte, daß sie versuchen wollten, einen Chirurgen zu finden.
Ich stand auf, ging in die Küche, setzte Wasser auf und wusch meine Hände. Ich wußte genau, was ich zu tun hatte.
Eine Stunde später kamen die Frauen zurück. Sie brachten keinen Chirurgen mit. Wegen der grassierenden Pest hatten sie keinen finden können.
Finn, der an diesem Tag keine Säulen malen mußte, kam zu mir und sah mich an. Sein Gesicht war grün.
»Merivel«, sagte er (denn so nennt er mich jetzt). »Was hast du vor?«
»Finn«, sagte ich, »ich werde einen Tod verhindern.«
Er schluckte. Dann nahm er den wollenen Umhang, unter dem ich geschlafen hatte, und wickelte sich selbst darin ein; er stand zusammengekauert darin, als wäre es der Kuhstall des alten Bathurst – ein Zufluchtsort.
Dann gab ich meine Anweisungen. Der Hebamme sagte ich, sie solle Katharine den Unterleib waschen und saubere Tücher unter sie legen. Zwei der Frauen schickte ich Kompressen und Verbände besorgen; einer anderen gab ich die Opiumkörner und sagte ihr, sie solle sie zerstoßen und mit Wasser vermischen.
Inzwischen holte ich mein Skalpell und meine chirurgische Nadel und reinigte beides. In meinem Innern fühlte ich keine Angst – die durchaus angebracht gewesen wäre –, sondern eine aufwallende Erregung, die nicht weniger stark zu sein schien als jene, die ich im Kohlenloch im Haus mei
ner Eltern empfunden hatte, als ich den Körper des Stars sezierte.
Ich ging hinauf in das Zimmer. Katharines Augen waren glasig und starr, ihr Atem flach wie der Atem der kleinen Hunde, die ich einstmals betreut hatte.
Es waren sechs Frauen im Raum. Nachdem Katharine ein wenig von der Opiummixtur in den Mund geträufelt worden war, stellte ich die Frauen wie Wachen auf – zwei, um ihren Oberkörper niederzudrücken, zwei, um ihre Beine festzuhalten, und zwei (einschließlich der Hebamme, für deren kleine, geschickte Hände ich noch dankbar sein würde), um mir zu helfen.
Der Tag war strahlend schön. Das Licht, das ins Zimmer fiel, schimmerte auf meinen Händen und auf der Klinge des Skalpells. Ich sprach ein Gebet, nicht zu Gott, sondern zu meiner Mutter und zu Pearce. Helft mir jetzt , bat ich.
Dann schnitt ich.
Ich schnitt in die Haut ein. Blutstropfen quollen hervor, aufgereiht wie auf einer Perlenschnur, die auf dem Bauch zwischen Nabel und Schamhaar lag.
Ich schnitt ins Gewebe, und helles Blut floß über den Bauch. Hände mit Kompressen streckten sich vor, und das Blut wurde von dem Mull aufgesogen.
Dann schnitt ich ins Bauchfell und öffnete den Unterleib. Mit ruhiger Stimme wies ich die Hebamme und meine andere Helferin an, ihre Hände auf beiden Seiten in die Wunde zu legen und sie so offenzuhalten. Sie taten es, und ich legte das Skalpell aus der Hand und nahm noch mehr Mull, um die Blutung zu stillen. Als diese dann schwächer wurde, sah ich die Schlingen von Katharines Eingeweiden, ihren Blasensack und die Wand der Gebärmutter vor mir
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