Zeit der Sinnlichkeit
Vorstellung, daß dieser Säugling, den ich mit meinen eigenen Händen zur Welt gebracht hatte, das Kindesalter erreichen und darüber hinauswachsen würde, daß ich dieses Mädchen heranwachsen sehen und lieben lernen würde und an Sonntagen mit ihm in die Wälder von Vauxhall gehen konnte, um nach Dachsen Aus
schau zu halten. Diese Gedanken waren so neu und seltsam für mich, daß ich kaum glauben konnte, daß ich es war, der sie dachte.
Ich gab der Amme etwas Geld.
»Wie lange wird es dauern, bis man sie entwöhnen kann?« fragte ich, als ich das Zimmer verließ.
»Ein gutes Jahr, Sir«, sagte sie. »Vorher lasse ich die Kleinen nie gehen.« Sie lächelte und schlug sich leicht auf ihre Brüste, als wolle sie mir Schätze zeigen, auf die sie auf bescheidene Art stolz war. Hinter ihr lächelten und kicherten mir zwei ihrer Mädchen zu, beide mit hübschen Korkenzieherlocken, und machten dann einen schnippischen Knicks vor mir. Ich verbeugte mich vor ihnen und fühlte, wie ich errötete.
Als ich auf Danseuse nach Cheapside zurückritt, überlegte ich, was für ein unverhofftes Glück es doch für mich sein würde, eine hübsche Tochter zu haben. Ich stellte mir vor, daß ich für sie ein Mädchen einstellte, das ihre Unterröcke wusch und ihr rotes Haar zu Korkenzieherlocken aufdrehte. Doch dann fiel mir ein, daß Margaret ja meine Gesichtszüge zu haben schien (nicht die gerade, dünne Nase und die dunklen Augen ihrer Mutter) und daher keineswegs hübsch werden würde. Ja, wahrscheinlich würde sie sogar ausgesprochen häßlich werden und so nur die eine Zukunft vor sich haben, die es in dieser Zeit für häßliche Frauen gab, sofern sie nicht unermeßlich reich waren: eine Zukunft in Einsamkeit und mit geringem Ansehen. Ich begann also, darüber nachzudenken, wie ich das verhindern konnte, und nahm mir vor, für sie Musiklehrer und Lehrmeister für petit point zu besorgen sowie Gelehrte, die sie nicht nur durch die Gedichte Drydens, sondern durch die Werke aller großen Dichter, die es je gege
ben hat, führen würden, so daß sie, wenn nicht durch ihr Gesicht, dann durch ihre Fertigkeiten und ihre Klugheit einen guten Ehemann bekommen würde.
Eine ganze Weile dachte ich so beim Reiten über Margarets Zukunft und über die große Ungerechtigkeit in der Gesellschaft nach (die mir schon einmal bei einer Autopsie im Whittlesea aufgefallen war), welche es den Männern erlaubt, auf vielerlei Art erfolgreich zu sein, den Frauen aber nur auf eine einzige. Bis ich in Cheapside ankam, war ich wegen meiner Tochter voller Zorn über diese Dummheit und Gemeinheit, doch dann vertrieb der Anblick meines Schilds an der Tür alles aus meinen Gedanken bis auf die Erwartung, daß während meiner Abwesenheit eine Antwort vom König auf meinen Brief eingetroffen sein könnte. Ich stieg ab und eilte hinein. Doch es war nichts für mich da.
»Warum fragst du?« sagte Frances Elizabeth. »Wartest du auf eine Nachricht?«
»Nein«, erwiderte ich, »es ist nur so, daß mein Apotheker eine Nachricht schicken wollte, sobald ein Heilmittel, das er für mich herstellen soll, fertig ist. Ihm fehlten ein paar wichtige Bestandteile …«
Ich weiß nicht mehr, wie viele Tage vergingen, bis ein Brief eintraf. Doch ich erinnere mich, daß die Zeit wieder sehr langsam verging und daß ich sehr viel dieser Zeit damit verbrachte, mir vorzustellen, ich sei alt geworden und der König sei alt geworden, ohne daß in all den Jahren, die ins Land gegangen waren, je eine Antwort gekommen wäre, ich aber die Hoffnung nie ganz aufgegeben hätte, so daß mein Leben von nichts anderem bestimmt gewesen sei als von diesem unaufhörlichen Warten.
Ich neigte jetzt sehr dazu, Fehler zu machen. Ein Patient kam wegen Bauchschmerzen zu mir, und meine Diagnose lautete, daß es sich um eine Blutung handle. Ich führte einen »sympathetischen Aderlaß« durch, um die Blutung zum Stillstand zu bringen, doch einen Tag später kam er wieder und zeigte mir einen Eisennagel, der mittels Erbrechen, das ihm ein Konkurrenzarzt verschrieben hatte, aus seinem Magen herausgeholt worden war. Meine Diagnose war so falsch gewesen, daß sie das Leben des Mannes gefährdet hatte. Er ließ mich den Nagel in die Hand nehmen und riet mir: »Tut ihn an eine Stelle, wo Ihr ihn jeden Tag sehen könnt, damit er Euch an Euren Irrtum erinnert – so daß dieser Fehler andere austreibt.«
Ich befolgte seinen Rat, da mich dieser Vorfall mit dem Nagel sehr nachdenklich gestimmt hatte
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