Zeit der Sinnlichkeit
allen geheimhielt, würde nur die Zeit erweisen.
Das Lied war noch nicht zu Ende. »Celia, Celia«, wollte ich sagen, »warum hat mir niemand gesagt, wie wunderbar Ihr singt?« Vor meinem geistigen Auge erschien ein Bild von mir, wie ich, der ich mich plötzlich sehr gut darauf verstand, verzückt auf meiner Oboe spielte, während meine Frau dazu sang. Wie anders, wie geordnet und überschaubar wäre doch das Leben, wenn man es um ein simples Duett arrangieren könnte! Doch wie die Dinge nun einmal lagen, wußte ich, daß Celia, sobald ich das Musikzimmer betrat, zu singen aufhören würde. Ich konnte keinerlei Anteil an ihrer Musik haben, und bis zum Abend würde sie in ihr Elternhaus zurückgekehrt sein, und es würde, abgesehen von dem gelegentlichen Trillern meiner indischen Nachtigall, ausgesprochen still auf Bidnold sein. Ich zog ein smaragdfarbenes Taschentuch hervor und putzte mir damit die Nase, die immer noch von Zeit zu Zeit verstopft war. Wieder einmal fühlte ich mich von etwas ausgeschlossen, wozu ich gern beigetragen hätte – wie unbedeutend mein Beitrag auch sein mochte. Diese Beobachtung entbehrt nicht einer gewissen Tragik, sagte ich mir, als ich mein Taschentuch wegsteckte.
Ich stand auf. Sobald Celia von meiner Rückkehr erfuhr, würde sie in mich dringen, um Neuigkeiten betreffend ihre
eigene Situation zu hören, und der Augenblick rückte näher, daß ich ihr sagen mußte, was ich mir zurechtgelegt hatte, wodurch ich den letzten Hoffnungsfunken in ihrem Herzen ersticken würde, der ja, wie Pearce mich hatte erkennen lassen, etwas so Schreckliches war. Doch als ich zum Musikzimmer ging, wußte ich, daß ich schwankend geworden war: Ich konnte die Worte, zu denen ich mich entschlossen hatte, nicht aussprechen. Denn es stand außer Frage, daß sich Celias Gleichgültigkeit mir gegenüber dann wieder in Abscheu verwandeln würde. So wie Kleopatra die Überbringer schlechter Nachrichten hatte auspeitschen lassen, so würde Celia mich mit ihrer Verachtung und ihrem Haß strafen. Ich, der ich ihr nichts bedeutete, würde ihr dann noch weniger als nichts bedeuten. Sie würde mein Haus für immer verlassen, und die ganze wunderbare Geschichte, die der König in Gang gesetzt hatte, würde ein Ende gefunden haben, bevor sie noch auf den richtigen Weg gekommen war. Und außerdem … ach, was für eine gefährliche Überlegung! … wollte ich nicht auf Celias Stimme verzichten. So, da habt Ihr es nun! Ganz gleich, welche Auswirkungen es auf Celias und meine geistige Gesundheit haben würde: Ich war fest entschlossen, sie bei mir, hier unter meinem Dach zu behalten, wenigstens für die zwei Monate, die der König verfügt hatte.
So betrat ich den Raum, und die Musik hörte abrupt auf, wie ich es vorhergesagt hatte. Celia schaute mich überrascht und hoffnungsvoll an, und Sir Joshua legte sein Instrument nieder und streckte mir mit großer Herzlichkeit die Hand hin. Ich verneigte mich vor ihnen. Dann sagte ich überflüssigerweise: »Ich bin zurück, wie Ihr seht«, und machte ihnen Komplimente über ihre Musikalität. Celia war natürlich nicht im geringsten an meiner Meinung über ihren Gesang in
teressiert, sondern drängte mich, ihr sofort zu sagen, welche Nachricht ich aus London mitgebracht habe. Ich blieb angesichts ihrer Angst und Ungeduld ruhig und bot ihr meinen Arm an.
»Bitte erweist mir die Ehre«, sagte ich, »mit mir eine Runde durch den Garten zu gehen, dann will ich Euch alles erzählen, was geschehen ist.«
Celia sah angsterfüllt auf ihren Vater. Da dieser nickte, legte sie nun ohne weiteres ihre weiße Hand auf meinen Arm. Wir gingen in die Halle, wo ich den Reifrock herrisch aufforderte, einen Mantel für seine Herrin zu holen.
Es war ein kalter Tag, und die Sonne stand schon etwas tief am Himmel. Celia und ich warfen lange Schatten; ich wirkte dadurch vorteilhaft gestreckt, so daß man uns, wenn man nur von dem Bild auf den flachen Steinen ausging, für ein sehr elegantes Paar halten konnte.
Nach einer kleinen Weile – in der ich einübte, was ich gleich sagen wollte – erzählte ich Celia die folgende Geschichte, die ich frei erfunden hatte, von der ich aber selbst recht beeindruckt war. »Der König«, sagte ich, »wollte im Hinblick auf Euch überhaupt nichts versprechen. Er verlangt schlichtweg, daß Ihr hier bleibt – hier auf Bidnold und sonst nirgendwo –, bis in Euch, wie er es nannte, ›ein Bewußtsein für die Veränderlichkeit aller Dinge‹ erwacht
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