Zeit der Sinnlichkeit
eine Nachtmütze mit einem dünnen Kaninchenfutter auf, stieg in mein türkisfarbenes Bett und fiel sofort in einen tiefen Schlaf.
Verwirrt wachte ich auf. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter und hörte eine Stimme, die mich drängte aufzuwachen. Ich öffnete die Augen und sah, über mich gebeugt, Celia, die in einen Umhang gehüllt war. Sie hielt eine brennende Kerze in der Hand, und ihr langes Haar fiel wie ein Vorhang lose um ihr Gesicht.
»Merivel«, sagte sie eindringlich flüsternd, »kommt! Euer Vogel stirbt.«
»Meine Nachtigall?«
»Ja. Ihr seid doch Arzt. Sie stirbt, wenn nichts geschieht.«
Ich wußte nicht, wie spät es war, denn ich hatte vergessen, meine Uhr aufzuziehen (wäre ich der König gewesen, dann hätte ich eine Vielzahl von Uhren zur Auswahl gehabt). Ich wußte nur, daß es mitten in der Nacht und so kalt war, daß ich im Schein der Kerze meinen Atem sehen konnte.
Nachdem Celia mir ihre Nachricht überbracht hatte, floh sie aus meinem Zimmer, wobei sie die Kerze mitnahm, so daß ich in tiefer Dunkelheit zurückblieb. Während ich mich abmühte, eine Lampe anzuzünden, meine Perücke und meine Strümpfe zu finden und eine Decke vom Bett zu zerren, in die ich mich wickeln konnte, fragte ich mich, warum um alles in der Welt Celia zu dieser merkwürdigen Stunde nach meinem Vogel geschaut hatte – sie, die sich gewöhnlich zusammen mit dem nörgelnden Reifrock spätestens um neun Uhr in ihr Zimmer zurückzog. Meine Verwirrung darüber war größer als die Sorge um meinen Vogel, wenigstens bis ich mein Ruhezimmer erreicht hatte und das arme Tier sah.
Celia hatte den Käfig auf den Teppich vor dem Kamin gestellt, in welchem Scheite neu aufgelegt worden waren. Ich kniete mich hin.
»Seht«, sagte Celia. »Er ist umgefallen.«
Er lag auf dem Boden des Käfigs, die Beine in der Luft, ein Flügel flatterte leicht.
»Was kann man da machen, Merivel?«
Ich sah zu Celia auf. Ich hatte große Traurigkeit, ja sogar Verzweiflung in ihrer Stimme gehört. Es erstaunte mich aufs äußerste, daß sie etwas sehr gern zu haben schien, das auch ich gern hatte, so daß ich erst einmal gar nichts sagen konnte und sie ihre Frage wiederholte.
»Merivel, was kann man da machen?«
Ich blickte wieder auf meine Nachtigall. Ihre sonst so glänzenden Augen sahen jetzt verschleiert aus, wie von einer Membrane überzogen; doch obwohl ich eifrig mein verbliebenes medizinisches Wissen durchforstete, fiel mir nicht ein, was das bedeuten könnte. Ich rieb mir die Augen. Meines Schlafes beraubt, ermüdet vom Zeichnen der Russen, wußte ich nicht, welche Schritte ich unternehmen sollte.
»Ich weiß nicht, was man da machen kann, Celia«, sagte ich.
»Ihr meint, es ist Euch egal, wenn das Tier stirbt?«
»Im Gegenteil! Ich hänge sehr an ihm.«
»Dann versucht doch wenigstens etwas! Holt Euer Besteck und Eure Heilmittel!«
Ich kann es nicht. Ich kann es nicht. Das wollte ich eigentlich sagen. Aber es war mir klar, daß ich wenigstens den Anschein erwecken mußte, als ob ich etwas unternahm, denn wenn Celia auch alles, was ich tat, für unzulänglich hielt, ganz gleich, ob es sich um das Oboespielen oder ein Gespräch über Drydens Reimpaare, um das Malen oder das Perückepudern handelte, so war sie doch der, wenn auch irrigen, Ansicht, daß ich auf diesem einen Gebiet – der Medizin – sehr tüchtig war. Wenn es mir also gelingen sollte, den Vogel
zu retten, dann würde mir das ohne Zweifel ein wenig Achtung von ihr einbringen.
Während ich mit leichter Ironie dachte, daß jetzt zum zweiten Mal ein Teil meiner Zukunft davon abzuhängen schien, ob ich ein Tier vor dem Tode bewahrte, nahm ich meine Kerze und ging zu meinem Kabinett. Ich kam mit einer starken Medizin zurück, einer Zubereitung aus Sennesblättern und Rhabarber, die von den Apothekern Pill Fortis genannt wird, sowie einigen sauberen Leinenverbänden und dem Chirurgiebesteck, das mir gerade erst der König geschickt hatte.
»Nun gut«, sagte ich zu Celia. »Ich gebe dem Vogel jetzt ein Abführmittel. Danach führe ich oben am Bein einen Aderlaß durch.«
Celia zuckte nicht mit der Wimper. »Wie kann ich Euch helfen?« fragte sie.
»Nun … wenn Ihr ihn in Euren Händen halten und seinen Kopf streicheln könntet, damit er keine Angst hat, und ich versuche dann, ihm die Medizin einzuflößen …«
»Ja«, sagte sie, »aber sollen wir nicht einen Tisch zum Kamin bringen, so daß wir darauf arbeiten können?«
»Eine gute Idee. Und ich lege
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