Zeit der Sinnlichkeit
ein Leinentuch darauf.«
So wandelten wir mitten in dieser seltsamen Nacht den Nußbaumtisch zum Operationstisch um, und Celia hob den Vogel vorsichtig aus dem Käfig und legte ihn darauf. Wir arbeiteten im Lichte dreier Kerzen, und als ich meinen armen Vogel so vor mir liegen sah, mußte ich flüchtig an den Star im Kohlenkeller denken. Wieviel einfacher ist doch Sezieren als Heilen! überlegte ich.
Celia saß mir gegenüber. Ein Fremder, der zufällig in das Zimmer gekommen wäre, hätte wohl angenommen, daß wir Karten oder Würfel spielten, wären wir nicht so bizarr ange
zogen gewesen: ich in eine Decke gehüllt, Celia in ihrem Winterumhang.
»Bitte haltet jetzt den Vogel so ruhig wie möglich«, sagte ich. »Ich will ihm den Schnabel öffnen, diesen dann mit einem Spatel offenhalten und ihm mit meinem Tropfglas ein wenig Fortis einflößen.«
Die Nachtigall zuckte mit den Beinen, doch als sie in Celias Händen lag, wehrte sie sich nicht mehr, sondern sah uns nur mit ihren traurigen, umwölkten Augen an. Sie schluckte die Medizin, und nun mußten wir warten, bis sie sich im Körper verteilt hatte.
»Nun denn«, sagte ich. »Jetzt werde ich sie zur Ader lassen. Der Anblick von ein wenig Blut macht Euch doch nichts aus?«
»Nein«, sagte Celia. »Ich mache mir nur um den Vogel Sorgen, denn ich glaube, es wird Unglück bringen, wenn er stirbt.«
»Warum denn?«
»Weil er ein Geschenk war, oder nicht?«
»Doch, ja.«
»Und zwar vom König. Und wenn etwas vom König zu Schaden kommt, dann habe ich Angst um Euch – und um mich.«
Wie Ihr Euch sicher denken könnt, war ich drauf und dran, Celia mitzuteilen, daß der Vogel ein Geschenk – nein vielmehr ein Bestechungsgeschenk – von jenem soi-disant Portraitmaler Elias Finn war und überhaupt nichts mit dem König zu tun hatte, aber dann unterließ ich es. Denn wenn es mich auch sehr traurig stimmte, daß meine indische Nachtigall so krank war, so merkte ich doch andererseits, daß mir dieses kleine Abenteuer mehr und mehr gefiel, ich wollte nicht, daß mich Celia mitten darin verließ.
Also begann ich mit dem Aderlaß. Nachdem ich an dem gefiederten Schenkel endlich einen schwachen Puls gefunden hatte, machte ich einen kleinen Einschnitt mit dem Skalpell mit der Gravur Merivel, schlaft nicht. Dunkles venöses Blut spritzte auf das Leinen. Da ich nicht geglaubt hatte, jemals einen Aderlaß an einem Vogel vorzunehmen, war ich mir über die Blutmenge, die ich ablassen mußte, nicht im klaren. Doch nachdem das Blut eine Weile herausgesickert war, schaute mich Celia kläglich an. Es war etwas davon an ihre Hände gekommen, und da ich das so schnell wie möglich wegwischen wollte, griff ich zum Verband und machte mich daran, ihn der Nachtigall um die Wunde zu wickeln. Mit dem verbundenen Bein sah sie ausgesprochen tragisch aus. Celia hob sie hoch und hielt sie an ihr Gesicht, um ihren Herzschlag zu hören. Ich faltete noch etwas Leinenstoff zusammen, legte ihn auf den Boden des Käfigs, und sie legte den Vogel darauf. Dann reinigte ich meine Instrumente mit Spiritus und räumte sie weg.
»Wir haben getan, was wir können«, sagte ich zu Celia. »Morgen früh, wenn das Abführmittel gewirkt hat, werden wir sehen, ob sie einen kräftigeren Eindruck macht.«
»Werdet Ihr sie morgen noch mal zur Ader lassen?«
»Vielleicht. Obwohl ich wirklich nicht weiß, wieviel Blut ein Vogel überhaupt hat.«
Celia stand auf. »Warum seid Ihr nicht mehr Arzt, Merivel?« fragte sie.
Ich will Euch den darauf folgenden kleinen Wortwechsel ersparen, bei dem ich versuchte, Celia von meiner Vision vom Schädel ihres Vaters, während dieser auf unserer Hochzeit spielte, zu erzählen und ihr die Verzweiflung zu erklären, der ich durch mein Wissen über Knochen und Sehnen nahe
gewesen war. Noch während ich sprach, wußte ich, daß Celia mir nicht glaubte. Sie beschuldigte mich, nicht zu wissen, wo mein eigenes Heil lag, und nannte mich einen Feigling. Ich wollte mich in meiner Verärgerung wieder in mein Bett zurückziehen und hob gerade den Instrumentenkasten auf, als Celia meine Hand berührte.
»Bitte geht nicht, Merivel. Verzeiht mir, daß ich mich in Angelegenheiten gemischt habe, die mich nichts angehen.«
Ich wußte nicht, was ich darauf erwidern sollte. Pearce gegenüber hätte ich auf George Fox oder die Suppenkelle geschimpft, doch trotz meines Zorns wollte ich Celia nicht verletzen. So schlug ich schließlich vor, daß wir uns wieder in unsere Zimmer
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