Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
Vom Netzwerk:
sollte. Und als es in seinem Norfolkschädel dämmerte, daß er wahrscheinlich sogar den König in seinem Palast zu Gesicht bekommen würde, begann er zu schluchzen, womit er mir im Verlaufe von fünf Minuten mehr Freude machte, als ich in den ganzen letz
ten fünf Wochen gehabt hatte. (Will Gates ist mir während meiner Zeit in Bidnold sehr ans Herz gewachsen. Sollte er nun für immer von mir genommen werden, dann werde ich oft an ihn denken.)
    Wir übernachteten unterwegs zweimal und kamen so am Vormittag des dritten Tages in Whitehall an. Auf der Reise hatten wir unsere Überwürfe getragen, doch in unserer letzten Unterkunft in Essex zog ich meinen schwarz-goldenen Rock an und puderte mir das Gesicht, da es durch einige Masernverkrustungen immer noch ziemlich pockig aussah. Ich wollte nicht, daß der König dachte, ich habe die Skrofulose, das »Übel der Könige«.
    Zusammen mit Will (der mit seinem beigen Rock und seinen grauen Gamaschen sehr adrett gekleidet war) betrat ich wieder einmal die Steingalerie, wo ich an einem vielversprechenden Nachmittag so von der nahen Gegenwart des Königs überwältigt gewesen war, daß ich alle Hoffnungen meines Vaters für meine Zukunft zunichte gemacht hatte. Wie bei jenem ersten Mal ging es in der Galerie durch die vielen umherwandelnden Leute sehr geräuschvoll zu, und ich wußte, daß viele von ihnen Bitt- und Antragsteller für kleine Vergünstigungen waren, die heute abend unverrichteter Dinge wieder abziehen mußten, um dennoch morgen und übermorgen und auch überübermorgen wiederzukommen.
    Ich nannte den Wachen vor den königlichen Gemächern meinen Namen, und man hieß mich warten. Eine Stunde verging, in der ich vom Stehen so müde wurde, daß ich für einen Augenblick sogar glaubte, ich würde umfallen. Will hielt mich am Ellbogen fest und lehnte mich gegen eine Säule. Ich sah ihn mit offenem Mund auf einige Galane starren, die mit ihren Frauen an uns vorbeigingen. Selbst auf meinem Krocket
rasen hatte er noch nicht solche Federn und Schnallen gesehen, selbst an meiner Speisetafel nicht solche perlenreichen Kleider. »Ich wette, Sir«, flüsterte er einmal, »diese Leute haben sogar noch mehr Geld als Ihr.«
    »Ja, Will«, erwiderte ich. »Das möchte ich auch wetten.«
    Schließlich wurde mir eine Nachricht überbracht: Ich solle um ein Uhr wiederkommen und mich bei dem zweiten der Tennisplätze des Königs, der als sein Lieblingsplatz galt, einfinden; dort würde sich dann Seine Majestät mit mir treffen. Ich sah den Überbringer dieser Nachricht mit einigem Unbehagen an. Ich war im Begriff, ihn zu bitten, dem König über meine jüngste Erkrankung zu berichten, die mich so schwach zurückgelassen hatte, daß ich kaum in der Lage war, ohne Hilfe in seiner Galerie zu gehen, geschweige denn, zu einem Tennisspiel anzutreten, doch der Mann wandte sich abrupt ab und lief weg, und ich wollte keinen Narren aus mir machen, indem ich hinter ihm herrief. Ich zuckte mit den Schultern. »Wir können jetzt nur eins tun«, sagte ich zu Will, »nämlich etwas Fleisch essen und hoffen, daß es mich kräftigt.«
    Um die Mittagszeit waren wir dann in der »Boar Tavern« in der Bow Street, wo ich für Will einen Teller Austern und einige Taubenpasteten bestellte und für mich ein gebratenes Rippenstück mit Markknochen und dazu Starkbier, eine äußerst kräftigende Mahlzeit. Wir tranken ein wenig Bier, und Will saugte seine Austern aus und verschlang seine Pasteten, doch ich brachte kaum zwei Bissen der Karbonade hinunter, da ich keinen richtigen Appetit hatte. Will aß auch diese pflichtschuldig auf, während ich meine Uhr aus der Tasche zog und schweigend beobachtete, wie sich der Zeiger dem ersten Viertel der Stunde näherte.
    »Ich glaube, ich muß sterben, Will«, sagte ich plötzlich. »Ich fühle es. Ich werde heute nachmittag sterben.«
    Will wischte sich mit einer zerknüllten Serviette den Mund ab.
    »Wie sterben, Sir?«
    »Das weiß ich noch nicht.«
     
    Nun, Ihr kennt mich jetzt sehr genau. Man braucht Euch nicht erst daran zu erinnern, wie unangenehm und doch zugleich wunderbar es für mich immer wieder ist, beim König vorgelassen zu werden. Ich bekomme auch diesmal einen roten Kopf, bin sehr hektisch und außer mir vor Freude, und gleichzeitig erfaßt mich eine überaus traurige Sehnsucht, die Zeit (die der König mit funkelnden Augen überwacht) zurückdrehen zu können, so daß ich wieder der bin, der ich einmal war: Merivel, der Narr.
    Es wäre gut möglich

Weitere Kostenlose Bücher