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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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auf dem Fluß die königliche Hand. Auch Rosie an ihren Waschkesseln: In den Jabots, Stulpen und Kragen aus Brüsseler Spitze, die die Kavaliere tragen, sieht sie eine Möglichkeit, selbst zu Wohlstand zu kommen. Und wohin würden mich, wenn ich etwas Neues versuchte, alle meine Bestrebungen führen? Nur dorthin zurück, wohin ich einst mit meinem Vater ging und wartete – zu dem Ort, der von der Gegenwart des Königs so schwer war, daß ich nicht atmen konnte.
    Was blieb mir also? Ich sagte mir, daß ich von einem, der sich in jeder Hinsicht vom König unabhängig gemacht hatte, am besten lernen konnte, wie ich künftig leben sollte. Und kaum hatte ich erkannt, daß mir endlich ein Gedanke gekommen war, der nicht ganz und gar töricht war, da wußte ich auch, wer der Betreffende war. Und ich sprach den Namen meines alten Freundes laut vor mich hin. »Pearce«, sagte ich, »laß mich zu dir kommen.«
     
    Seit ich Pearce zuletzt auf dem gesprenkelten Maulesel gesehen hatte, war ich in Gedanken nicht allzuoft bei ihm gewesen. Er liebt meine Narreteien nicht und ist auch nicht bereit, stillschweigend über sie hinwegzusehen. Mein Benehmen Celia gegenüber hätte ihn vor Scham weinen lassen. Es war daher nicht angenehm, an ihn zu denken, wenn ich ihm gleichzeitig Grund zur Beschämung und zum Gram gab.
    Doch nun, da ich aus Celias Leben verbannt war und wußte, daß ich bald Danseuse satteln und mich auf den Weg zu den Fens machen würde, war es mir wieder möglich, sein blasses Gesicht vor meinem geistigen Auge erstehen zu lassen. Es ist ein Gesicht, das mir sehr lieb ist, das in mir aber auch – zu gleichen Teilen – Gefühle der Sorge, Verärgerung und Güte erweckt. »Gütig« ist ein Wort, das Pearce häufig verwendet, da es ein Quäkerwort ist; sie wenden es für jene toleranten Seelen an (von denen es allerdings nicht viele gibt, wenn man Pearce glauben darf), die einen Quäker, wenn er ihnen über den Weg läuft, nicht anspucken und nicht von ihm verlangen, daß er seinen Hut abnimmt. So gesehen, bin ich »gütig«. Während unserer gemeinsam verbrachten Vergangenheit stellte ich mich gelegentlich zwischen Pearce und seine Kontrahenten, nicht weil ich besonders mutig bin, sondern weil Pearce eine gewisse kindliche Unschuld an sich hat und ich es nicht mag, wenn Kinder verletzt und beleidigt werden. Doch trotz all dieser ritterlichen Handlungen ist Pearce immer sehr streng mit mir. Er sagte einmal über mein Leben: »Es ist ein schlecht ausgeführtes Stickmustertuch, Merivel. Es zeigt zwar eine Vielfalt von Stichen, ergibt aber kein zusammenhängendes Bild.« Er ist ein Mann, der es trotz seiner ekstatischen Redeweise nicht über sich bringt, seine geheimen Sympathien zu zeigen. Ich weiß, daß er mich wirklich aufrichtig liebt, doch ich glaube, daß er es selbst nicht weiß. Und doch wird er, wenn ich in seiner erbärmlichen Heilanstalt ankomme, angerannt kommen (oder wenigstens die Geschwindigkeit seines Schrittes etwas erhöhen), um mich zu begrüßen. Er wird froh sein, mich zu sehen.
    Seit dem Tage, an dem ich nach Whitehall gegangen bin, hat es wenig in unserem Leben gegeben, das unsere Freund
schaft hätte vertiefen können. Manchmal erscheint sie mir daher auch gespensterhaft und unwirklich, als etwas, das nach Cambridge, in die Jahre der Verbannung des Königs, gehört. Da saßen diese »Gespenster« sehr oft bis spät in der Nacht zusammen, warfen Kohle auf kleine Feuer, aßen Pflaumenkuchen und versuchten gleichzeitig, Descartes' Theorie, daß der wesenlose menschliche Geist durch die Zirbeldrüse mit der »Körpermaschine« verbunden sei, zu verdauen, bis sie es schließlich aufgaben, sie wieder ausspuckten und in Lachen ausbrachen.
    Das Gespenst Pearce liebte auf sentimentale Art das Angeln und nahm im Sommer das Gespenst Merivel mit auf seine Angelausflüge. »Die Apostel«, sagte Pearce schwärmerisch, als sie beide dasaßen und auf Eintagsfliegen warteten, »sind Fischer gewesen. Angeln ist eine beschauliche, bedächtige Angelegenheit und eigentlich nicht ganz für dich geeignet, Merivel, da du zu ruhelos und oberflächlich bist.« Und wirklich hatte Pearce mehr Glück dabei. Wenn der Abend hereinbrach, hatte er die braune Forelle am Haken. Merivel hingegen nur die schlammige Asche. Doch die Gespenster blieben am Fluß, jeder zufrieden in der Gegenwart des anderen und zufrieden mit dem Sport, bis die Luft kühler wurde und sich ein dünner Nebel über das Wasser legte und sie immer mehr zu

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