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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Schatten wurden. Ich erinnere mich, daß ich manchmal, wenn ich von diesen Angelausflügen in mein Zimmer zurückkam, das Gefühl hatte, aus einer anderen Welt zu kommen. Und die Erinnerung daran, die manchmal in mir erwacht, wenn meine Seele von Sorge gequält wird, ist immer besänftigend gewesen.
    In meinem Bemühen, mit den Schicksalsschlägen der letzten Zeit fertig zu werden und den Geruch des königlichen
Parfüms, den Klang von Celias Stimme, die Berührung meiner Nase durch die Hand des Königs und den Anblick meiner Lust auf meinem sternklaren Dach ins Dunkel zu drängen, sah ich mir meine Erinnerungen an Pearce sehr genau an, wie durch ein Mikroskop, so daß ich das, was eigentlich unsichtbar war, noch einmal scharf umrissen sehen konnte. So bereitete ich mich auf meine Reise vor.
    Tatsächlich eilte mein Entschluß, zu den Fens zu gehen, meiner Fähigkeit, dies auch wirklich tun zu können, etwas voraus. Kaum hatte ich das Wort »Pearce« laut ausgesprochen, da wußte ich schon, daß ich mich fürchtete. Ich wußte, daß mir die Gesellschaft meines Freundes guttun würde, die von hundert Geisteskranken dagegen nur qualvoll sein konnte. So verweilte ich noch etwas im »Leg«. Ich bat die Gespenster vom Forellenfluß um Mut.
     
    Am 10. März machte ich mich auf den Weg.
    Die erste Nacht verbrachte ich in Puckeridge und die zweite in Cambridge, wo ich mich zum Caius begab und im dunklen Treppenhaus vor dem Zimmer stand, das einstmals das meinige gewesen war. Hinter der Tür hörte ich sanfte, ernste Stimmen. Mir kam der Gedanke, daß keiner da drinnen, wie lernbegierig er auch sein mochte, wissen konnte, daß das Herz an sich gefühllos ist.
    Am dritten Tage ritt ich weiter nach Willingham und sah, wie die Landschaft gewissermaßen weniger und der Himmel mehr wurde und daß die am häufigsten vorkommenden Tiere nun die Vögel waren, die in beiden Elementen zu Hause sind. Ein Wind kam auf und machte Danseuse nervös, so daß sie eine Zeitlang wirklich eine Tänzerin war und vor Böen scheute. Doch die Vögel ließen sich vom Wind tragen. Ich
sah ihnen zu, wie sie dahinglitten und mit den Wirbeln hinunterstürzten. Ich sah Große Trappen, Mornellregenpfeifer und Wildgänse.
    Auch sah ich, daß hier in den Fens die Erdkruste dünn zu sein schien, so daß das Wasser nach oben durchsickern konnte und man die Vorstellung gewann, es seien nicht Würmer, sondern Fische im Boden. Es ist eine Landschaft, in der Dünnes wächst – fedrige Sumpfgräser, Rohrkolben und hängende Weiden –, so daß ich lächeln mußte, als ich mir Pearce darin vorstellte, dünn und fadenscheinig, wie er war; ich spürte auch, daß ich mit meinem breiten, flachen Gesicht, meinen fleischigen Lippen und meinem weichen Bauch mit all dem nicht im Einklang stand.
    Wenn der Wind auch nicht wieder aufhören wollte (als ob der weite, wolkenverhangene Himmel ihn wie unter einer Kuppel gefangenhielt), so fiel doch während meiner ganzen Reise kein einziger Tropfen Regen, und für diesen Segen dankte ich dem schweigenden Gott des Rosinenkuchens. In diesem Zusammenhang will ich meine Gedanken nun ein wenig bei dem sehr schlichten Glaubensbekenntnis verweilen lassen, das Pearces Leben durchdringt und das ihn immun macht gegen all die Reize, denen ich erlegen bin. Obwohl es viele Beweise dagegen gibt, glauben er und seine Quäkerfreunde, daß das Apostolische Zeitalter noch nicht zu Ende ist, daß Gott und Sein Sohn uns noch viel mehr zu sagen haben, aber nicht Menschen weltlicher Autorität als ihr Sprachrohr auswählen werden. »Die Saat Christi, Merivel«, hatte Pearce viele Male zu mir gesagt, »wird nicht in den Seelen von Priestern oder Königen ausgesät werden, sondern im Busen des einfachen Mannes.« Das bedeutete, daß gleich Hunderte stolzer Bürger bei dem Gedanken, daß Got
tes Wort über solche Leute wie Cattlebury oder den verstorbenen Pierpoint kommen könnte, vor Angst zitterten und daher das Quäkertum als eine ausgesprochene Ketzerei anprangerten. Seltsamerweise ist der König (der vor nichts zu erzittern scheint, auch nicht vor dem Tod) den Quäkern gegenüber tolerant – ja, er ist bei ihren Unhöflichkeiten toleranter, als er es bei meinen gewesen war. Würde Pearce beim König vorgelassen und sich weigern, seinen Hut abzunehmen, ich glaube nicht, daß ihm dann sein Haus weggenommen werden würde. Ich könnte mir sogar vorstellen, daß diese Dreistigkeit mit dem Geschenk belohnt würde, das ich einmal für das kostbarste

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