Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
hatte mehr über Lauras Leben erfahren und gleichzeitig begriffen, dass sie unter den gegebenen Umständen nicht zusammenleben konnten. Jedenfalls nicht in München. Auch nicht in Siena. Denn Laura würde in Siena ihrerseits in eine Warteschleife geraten, und das passte nicht zu ihr. Nicht mal seine Exfrau Carlotta hatte das ausgehalten, obwohl sie durchaus eine Neigung zur Hausfrau gezeigt hatte, zumindest in den frühen Jahren ihrer Ehe.
Jetzt knatterten die ersten Apes und Vespas durch die Gassen, der Gestank ihrer Auspuffgase drang bis in Guerrinis Schlafzimmer herauf. Rollos wurden hochgezogen, Hunderte, wie es schien. Halb sechs. Guerrini drehte sich auf die Seite, presste ein Ohr ins Kissen und steckte einen Finger in das andere.
Die Hände im Nacken verschränkt, lag Dottor Paolo Massimo auf dem schmalen Bett in der Einzelzelle für Untersuchungshäftlinge der Questura von Siena. Erstes Licht drang durch das vergitterte Fenster, beleuchtete matt die verschlossene Tür, auf die Massimo starrte, seit er hier einquartiert worden war. Im Abstand von ungefähr zehn Minuten wurde das kleine Guckloch aufgemacht und kurz darauf wieder geschlossen. Das Auge, das vermutlich in diesem Guckloch erschien, konnte Massimo nicht erkennen. Aber er wusste, dass es da war. Wahrscheinlich unterstellte man ihm Selbstmordabsichten.
Er fragte sich, ob es nicht möglich sein müsste, sich in den knapp zehn Minuten zwischen den Öffnungen des Gucklochs umzubringen. Natürlich war es möglich. Die Überwachung war also ziemlich sinnlos und diente nur einer rein theoretischen Absicherung der Polizei nach außen. Es brachten sich ja genügend Inhaftierte um. Vermutlich in genau jenen zehn Minuten einer Art Freiheit.
Noch immer hatte er Schwierigkeiten, die Ereignisse der vergangenen Stunden als real einzuordnen. Wer hatte die Polizei dazu aufgefordert, auf seinem Grundstück nach einem Toten zu suchen? Wer hatte Leo Hardenberg dort vergraben, wer hatte ihn umgebracht? Hardenberg stand im Weg, das schon. Aber als Massimo sich in Florenz von ihm verabschiedet hatte, da war Hardenberg noch sehr lebendig gewesen.
«Ciao, Paolo!», hatte er gesagt. «Tut mir leid, aber auch du bekommst nicht alles, was du willst!»
Was hatte Hardenberg vorgehabt? Er wollte ein paar Tage nach Lucca fahren. Seine Freundin wartete im Hotel auf ihn. Das hatte der Sicherheitsdienst der Banca libera gemeldet, den Massimo auf Hardenberg angesetzt hatte. Hardenberg war verheiratet. Massimo hatte längst herausfinden lassen, dass Hardenberg seine Frau betrog. Ein mögliches Druckmittel, um ihn doch noch für die Fusion zu gewinnen. Es wäre sein nächster Schritt gewesen, diese Option auszuloten. Doch war es durchaus wahrscheinlich, dass Hardenberg zu der Sorte gehörte, die sich eher von ihren Frauen als von ihrem Besitz trennten. Außerdem gab es auch Frauen, denen die Affären ihrer Männer egal waren, zumindest solange die eine Bank besaßen.
Zu welcher Sorte gehörte seine eigene Frau? Er wusste es nicht. Bis jetzt war Caterina noch nie ernsthaft auf die Probe gestellt worden. Affären interessierten ihn nicht. Jedenfalls bisher. Er hatte Caterina für die Familie und Antonella für seine Arbeit.
Ältere Männer, die sich unbedingt mit jüngeren Frauen etwas beweisen mussten, fand er peinlich und lächerlich. Auf internationalen Kongressen hatte er immer wieder dieses augenzwinkernde Einvernehmen zwischen den männliche Teilnehmern erfahren: dass man sich etwas gönnen sollte, dass man es verdient hätte, bei all der Verantwortung und Wichtigkeit. Es hatte ihn angewidert.
Das kleine Schiebefenster in der Tür öffnete sich, und diesmal fiel so viel Licht in Massimos Zelle, dass er ein schimmerndes Auge zu sehen glaubte. Er schaute auf dieses Auge, das Auge schaute auf ihn, länger als zuvor. So lange, dass Massimo unruhig wurde und den Impuls unterdrücken musste, aufzuspringen und das Guckloch zu verschließen oder irgendwas davorzuhalten. Doch genau in dem Augenblick, da er es nicht mehr auszuhalten glaubte, klappte das Fensterchen zu.
Natürlich. Sie wollten ihn nervös machen. In Vorbereitung der Verhöre, die am Morgen beginnen sollten. Er selbst würde diese Behandlung nicht anders anordnen, wenn er der Commissario wäre.
Der schlief wahrscheinlich tief.
Ich sollte auch schlafen, dachte Massimo. Weshalb starre ich auf dieses verdammte Guckloch und denke über Frauen und Männer nach, statt zu schlafen? Wenn ich schon nachdenke, dann sollte ich
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