Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
war, saß Massimo in genau dem geschwungenen Ledersessel, in dem er auch den gestrigen Abend verbracht hatte, ehe man Hardenberg fand. Er empfand dieses Haus als zu groß, die Landschaft draußen vor dem riesigen Fenster als zu weit, konnte sich nicht erden, spürte die Panik in seinen Muskeln, irgendwo entlang der Wirbelsäule und im Nacken.
Hardenberg hatte im Kofferraum seines Wagens gelegen.
Immer wieder versuchte er diese Information zu verstehen, halblaut wiederholte er von Zeit zu Zeit den Satz: «Hardenberg hat im Kofferraum meines Wagens gelegen.»
Vorsichtig schaute er sich nach dem Polizisten um, der vorhin noch an der Wand neben der Eingangstür gelehnt hatte. Er war nicht mehr da. Wahrscheinlich rauchte er draußen, telefonierte mit seiner Freundin oder war auf dem Klo. Von dem zweiten war auch nichts zu sehen.
Es war grauenvoll still in diesen zu großen Räumen. Nicht mal eine Uhr tickte. Was machten Leute, die unter Hausarrest standen? Wurden sie langsam verrückt? Lasen sie Bücher? Fingen sie an zu malen, führten sie Selbstgespräche? Es gab Menschen, die jahrelang ihre Häuser nicht verlassen durften …
«Hardenberg hat noch nicht im Kofferraum gelegen, als ich mein Gepäck herausgeholt habe.» Massimo erschrak vor seiner eigenen Stimme. Hatte er wirklich nicht dort gelegen? Dieser verdammte schwarze Müllsack. Er konnte sich einfach nicht daran erinnern, ob der schon da gewesen war. Irgendwo weiter hinten im Kofferraum. Vielleicht. Blödsinnige Grübeleien.
Noch mal: Er hatte sein Gepäck genommen, den Kofferraum zugeschlagen und war ins Haus gegangen. Hatte er den Knopf für die Zentralverriegelung gedrückt? Auch daran konnte er sich nicht erinnern. Es war eine dieser halbbewussten Tätigkeiten, an die sich wahrscheinlich kaum jemand erinnerte. Außerdem gab es keinen Grund, den Wagen zu verriegeln. Dieser abgelegene Landsitz war einer der wenigen paradiesischen Orte, an denen man nicht ständig an Autodiebe denken musste, wenn man einen Luxuswagen fuhr.
Massimo schloss die Augen und versuchte sich zu entspannen. Seine Muskeln fühlten sich an wie Knoten. Wie entspannte man sich, wenn man total in der Falle saß? Ohne Handy, ohne Tablet. Ohne den gewohnten Machtapparat? Massimo war es schon immer schwergefallen zu warten. Bisher hatte das Gefühl des Wirklichkeitsverlusts seine Ungeduld nahezu ausgeschaltet, doch jetzt kehrte sie mit Macht zurück.
Der schützende Nebel in seinem Kopf hatte sich allmählich gelichtet. Was in den vergangenen vierundzwanzig Stunden geschehen war, war Wirklichkeit, das hatte Massimo inzwischen begriffen. Irgendjemand hatte ihn auf besonders intelligente und perfide Weise hereingelegt. Es handelte sich um die Erfüllung geheimer, dunkler Wünsche und gleichzeitig um die Vernichtung des Wünschenden. Jaja, er hatte viel gelernt bei seinem Vater, dem berühmten Psychiater. Er war durchaus in der Lage, sich selbst zu analysieren und die Gefährlichkeit dieser Situation zu erkennen. Nur hatte er bisher nicht die geringste Ahnung, wer seine, Massimos, Vernichtung geplant haben könnte.
Um ihn war eine große Leere. Seine verknoteten Muskeln versuchten diese Leere abzuwehren – und die Panik, die in ihr lauerte. Wer? Wer, bei allen Heiligen, hatte ihm diese Falle gestellt? Wer hatte ihm die Kontrolle über sein Leben genommen?
Paolo Massimo versuchte klar zu denken, doch in seinem Kopf herrschte ein wildes Durcheinander an Einfällen und Verdächtigungen. War da nicht noch eine zweite italienische Bank an der Fusion mit Hardenberg interessiert gewesen? Leo Hardenberg hatte so etwas angedeutet, ohne Namen zu nennen. Wer in der Hardenberg Bank hatte sich besonders für eine Fusion eingesetzt? Ein, zwei der Manager – nicht besonders viele. Er konnte sich nicht einmal an die Namen der beiden erinnern. All das war auf seinem Tablet gespeichert.
Alte Feinde? Auch die hatte er zur Genüge. Organisierte Kriminalität? Er war sicher, dass ein paar der Konten seiner Bank von Strohmännern der Mafia geführt wurden. Aber wer konnte dagegen etwas machen? Alle Banken hatten solche Konten, und es waren nicht die schlechtesten. Sie brachten Kapital, mit dem man arbeiten konnte.
In seiner eigenen Bank waren vermutlich auch ein paar Leute daran interessiert, ihn abzusägen. Es standen immer welche in den Startlöchern, die auf den richtigen Augenblick fieberten, um die Macht zu übernehmen. Bis gestern hatte er selbst diese Macht besessen, jetzt ergriff der Staat
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