Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
plötzlich die Macht über ihn, der Staat in Gestalt dieses lächerlichen Angelino Cichetto und des weniger lächerlichen Commissario Guerrini.
Die Leere um ihn schien sich immer weiter auszudehnen, füllte sich unerwartet mit Geräuschen. Massimo hielt sich die Ohren zu, ehe er begriff, dass es sich bei diesen Geräuschen um den Motor eines Wagens handelte, um das Zuschlagen von Autotüren und um menschliche Stimmen.
Möglich, dass seine Bewacher abgelöst wurden, eine Erklärung, die Massimo jeder anderen vorzog. Es wäre aber auch möglich, dass der Commissario samt Staatsanwalt zurückgekehrt war. Davor fürchtete er sich, obwohl er selbst ohne Anwalt kein Wort sagen musste. Er fürchtete sich vor den Worten der anderen.
Mitsamt seinem Sessel rückte Massimo näher an die Fensterfront und starrte hinaus, wie er es am Abend zuvor getan hatte. Sie redeten immer noch, draußen vor dem Haus. Er konnte nichts verstehen, die Stimmen nicht unterscheiden. Schritte auf Kies, Schritte auf Pflastersteinen. Was machten die so lange? Warum kamen sie nicht herein? Am liebsten wäre er aufgesprungen, um nachzusehen. Die Unerträglichkeit des Wartens ließ seine Muskeln noch mehr verkrampfen, und er hatte einen metallischen Geschmack im Mund, als krieche die Furcht über seine Zunge.
Als an der Tür geklopft wurde, schreckte er zusammen, obwohl es ihn auch erleichterte. Die Tür wurde geöffnet, Massimo hörte es genau, drehte sich aber nicht um, sondern schaute weiter hinaus auf die blauen Hügel, die in der Ferne verblassten. Doch er nahm sie nicht wahr, diese blauen Hügel, denn seine ganze Aufmerksamkeit war auf die Vorgänge in seinem Rücken gerichtet. Sie waren eingetreten, mehrere Personen. Einer räusperte sich. Interessant, dass sich viele Menschen räusperten, ehe sie redeten. Als wollten sie die anderen vorwarnen. Warum dachte er das, verdammt noch mal? Warum konnte er sich nicht auf das Wesentliche konzentrieren?
«Dottor Massimo? Commissario Guerrini sono.»
Massimo antwortete nicht.
«Sie können es natürlich so wie gestern Abend machen und weiter die Aussicht genießen. Aber ich denke, dass Sie interessieren wird, was ich Ihnen mitzuteilen habe.»
«Ich weiß es schon.» Gegen seinen Willen hatte Massimo geantwortet. Ganz automatisch. Seltsam, es gab ihm ein winziges Gefühl von Macht zurück.
«Ich weiß, dass Sie es wissen.»
Massimo hob den Kopf und schaute in den Himmel hinauf, in durchsichtiges Blau. Ihm fiel ein, von irgendwoher, dass er als Junge häufig hinaufgestarrt und sich dabei gefühlt hatte, als wäre der Himmel wie das Meer, als könnte er in ihm wegschwimmen. Nicht so sehr fliegen, eher schwimmen. Oder hinaustauchen ins Universum. Es fiel ihm schwer, diese Erinnerung wegzuschieben.
«Wenn Sie wissen, dass ich es weiß … warum wollen Sie es mir dann noch einmal erzählen, Commissario?»
«Weil ich dabei gern Ihr Gesicht sehen möchte, Dottor Massimo. Außerdem gibt es ein paar Einzelheiten, die auch für Sie neu sein dürften.»
Die Gestalt des Commissario schob sich zwischen Landschaft und Himmel und lehnte sich an die riesige Glasscheibe – mehr Schattenriss als Mensch.
«Der tote Leo Hardenberg hat nicht nur im Kofferraum Ihres Wagens gelegen.»
Paolo Massimo versuchte an Guerrini vorbeizuschauen. Links vom dunklen Kopf des Commissario flogen ein paar Schwalben durch das durchsichtige Blau.
«Er hat auch auf Ihrem Beifahrersitz Spuren hinterlassen.»
Die Schwalben flogen immer höher hinauf, wurden immer kleiner. Es gelang Massimo, seine Gesichtszüge zu kontrollieren. Nur seine Augen folgten den Schwalben.
«Mich würde interessieren, was Sie dazu denken oder möglicherweise auch sagen, Dottor Massimo.»
«Nichts», murmelte Massimo. «Ich habe nichts zu sagen. Wenden Sie sich an meinen Anwalt.»
«Es verbessert Ihre Situation nicht besonders, wenn Sie nichts sagen.»
Massimo lehnte sich zurück und schloss die Augen. Der Ledersessel knarrte ein bisschen. Dann war es wieder still. Massimo konnte die Atemzüge des Commissario hören, so still war es. Er hoffte inständig, dass Antonella bald einen schwachen Punkt in Guerrinis Vergangenheit finden würde. Bei diesem Gedanken umfassten seine Hände die Armstützen, und seine Knöchel traten weiß hervor. Weil er noch immer die Augen geschlossen hielt, konnte er nicht sehen, wie aufmerksam der Commissario ihn beobachtete.
«Es sieht so aus, als hätte man Hardenberg mit Blausäure vergiftet.»
Diese ruhige Stimme
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