Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
der Frauenkirche, ließ die Ziegel knallrot leuchten.
«Wie ich die Oberkommissarin Ursula Falkner einschätze, ist sie ehrgeizig», murmelte Laura, während sie die glühenden Türme betrachtete. «Ehrgeizige Leute machen gern Überstunden. Ich werde also jetzt diese Ursula Falkner im BKA anrufen und mich blöd stellen.»
Laura fuhr ihren Computer hoch und fand im Intranet die Nummer der Oberkommissarin. Ehe sie die Zahlen ins Telefon eintippte, atmete sie ein paarmal tief durch.
Nach dem zweiten Klingeln meldete sich eine Frauenstimme mit abwesendem «Jaaa?», als tauche sie gerade aus einer anderen Sphäre auf.
«Oberkommissarin Falkner?», fragte Laura.
«Ja?»
«Kriminalhauptkommissarin Gottberg, Mordkommission München. Guten Abend.»
«Guten Abend. Was gibt’s denn?»
«Das ist nicht so leicht zu erklären. Also … vor allem geht es um das Ermittlungshilfegesuch eines italienischen Staatsanwalts, das möglicherweise auch über Ihren Schreibtisch gewandert ist. Der Mann hat eine Liste geschrieben – um die abzuarbeiten, brauchen wir wahrscheinlich ein halbes Jahr.»
«Worum geht es denn konkret?»
«Es ist alles nicht besonders konkret. Bis auf eines: Es gibt einen Mord. Der hat in der Toskana stattgefunden. Das Mordopfer ist Deutscher. Ein Münchner Bankvorstand. Oder vielleicht ist er auch Bankdirektor – so genau kenn ich mich damit nicht aus.»
«Wie heißt der Mann? Um welche Bank handelt es sich?»
Laura hörte ganz genau hin. Aus der gelassenen Stimme der Oberkommissarin klang diesmal eine leichte Ungeduld oder auch Verunsicherung. Durchaus nachvollziehbar, dachte Laura und wartete ein paar Sekunden, um ihre Worte richtig wirken zu lassen.
«Hardenberg heißt er, Doktor Leo Hardenberg. Von der Hardenberg Bank. Kennen Sie die? Ich hab überhaupt nicht gewusst, dass es so eine Bank gibt.»
Auf der anderen Seite blieb es ebenfalls einige Sekunden lang still.
«Ich habe davon gehört, dass es die Hardenberg Bank gibt. Aber dieses Ermittlungshilfegesuch ist mir nicht bekannt. Was wollen Sie denn von mir?»
«Ich hab ein Protokoll vorliegen, bei dem es um frühere Ermittlungen im Umkreis der Hardenberg Bank geht. Ziemlich spannende Geschichten. Aber ich hab keine Ahnung, wer das Protokoll geschrieben hat und wer da genau ermittelt hat – diese Angaben fehlen nämlich. Komisch, nicht wahr? Und da hab ich gedacht … weil Sie doch im LKA Bayern in der Abteilung Wirtschaftskriminalität gearbeitet haben, dachte ich, dass Sie es wissen könnten.»
Wieder kam die Antwort mit deutlicher Verzögerung.
«Da hat es mal Ermittlungen gegeben. Aber ich war nicht damit befasst.»
«Die Ermittlungen sind eingestellt worden. Was ich nicht ganz verstehen kann, denn in dem Protokoll stehen eigentlich ganz interessante Sachen …»
«Ich kann Ihnen da nicht weiterhelfen. Es tut mir wirklich leid.»
«Und ich war mir ganz sicher, dass Sie diese Ermittlungen durchgeführt haben.»
«Wie kommen Sie denn auf die Idee?»
«Ich weiß auch nicht. Irgendwie hat alles gepasst. Auch, dass Sie inzwischen beim BKA sind …»
«Was fällt Ihnen eigentlich ein? Wie war noch mal Ihr Name?»
«Was mir eingefallen ist? Dass zum BKA nur jemand kommt, der wirklich gute Arbeit leistet. Und aus dem Protokoll geht hervor, dass jemand gute Arbeit geleistet hat.»
«Wollen Sie behaupten, dass ich lüge? Hören Sie: Ich werde dieses Gespräch jetzt beenden. Aber vorher würde ich gern noch Ihren Namen …»
«Gottberg. Laura Gottberg. Ich werde die eingestellten Ermittlungen wiederaufnehmen. Es bleibt mir nichts anderes übrig. Falls Ihnen doch noch etwas dazu einfällt – meine Nummer müsste auf Ihrem Display angezeigt sein. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.»
Laura stand ganz still am Fenster, das Telefon noch in der Hand. Die Türme des Doms hatten aufgehört zu glühen und waren auf einmal grau.
Garantiert hat Ursula Falkner diese Ermittlungen geleitet, und man hat ihr inzwischen einen hübschen Maulkorb umgebunden. Ich könnte es dabei bewenden lassen und einfach nur die Fragen des Staatsanwalts Cichetto beantworten. Dazu reichen ein paar Gespräche mit Familie und Bankmanagern. Vielleicht noch mit dem Chef der Sicherheitsfirma. Das könnte ich mit einem Kollegen oder einer Kollegin in einer Woche schaffen. Wahrscheinlich wäre Dezernatsleiter Becker sehr zufrieden mit mir.
Jetzt wurde der Liebfrauendom von unten beleuchtet, und die blaue Stunde begann. Laura legte das Telefon weg und setzte sich
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