Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
draußen gehen und dir den Bericht der Carabinieri anhören», wandte er sich an Tommasini. «Ich rufe dich sofort wieder herein, wenn ich das große Geheimnis des Dottor Massimo vernommen habe.»
Tommasinis einziger Trost bestand darin, dass der Commissario endlich den richtigen Ton gefunden hatte, um die Unverschämtheiten dieses Tatverdächtigen zu parieren. Der Mann war in Tommasinis Augen sehr wahrscheinlich ein Mörder, und er führte sich auf, als sei er der Vorgesetzte vom Commissario!
«Wenn Sie es für richtig halten, Commissario», murmelte er und verließ die Wohnhalle der Villa. Wohnzimmer konnte man so etwas seiner Meinung nach nicht nennen. Tommasini fand solche Häuser unanständig. Eine Herausforderung für sein Klassenkämpferherz. Deshalb beschloss er, zum Bauern Rieti hinaufzugehen, um zu sehen, wie der lebte und was der über seinen Nachbarn zu erzählen wusste.
Angelo Guerrini und Paolo Massimo saßen nebeneinander an der Glaswand, hinter der die Landschaft der Crete wie ein überdimensionales Gemälde wirkte. Langgezogene Wolkenschatten sprenkelten die Felder und weichen Hügel; die Sonne stand tief und würde bald hinter den Bergen verschwinden. Nur ein kleiner runder Glastisch auf Metallbeinen trennte den Commissario und den Banker. Nun, da sie allein waren, schwiegen sie und schauten ins Land hinaus. Guerrini wartete, er hatte beschlossen, nicht derjenige zu sein, der dieses Gespräch begann. Die Nerven seines Gegenübers schätzte er als ziemlich stark ein, und vermutlich verfügte Massimo über jede Menge Selbstdisziplin. Mit seinen eigenen Nerven sah es zur Zeit nicht so gut aus, doch immerhin gut genug, um zu schweigen. Verstohlen schaute er auf seine Uhr, ungefähr sieben Minuten dauerte die Stille zwischen ihnen bereits an. Massimo wirkte inzwischen so unerreichbar wie am Abend des Leichenfundes, und Guerrini fragte sich, ob er möglicherweise eine groteske Inszenierung plante. Das schweigende Opfer, das seine Trümpfe nicht ausspielt. Er glaubte, sich vorstellen zu können, wie der Banker sich fühlte, nahm an, dass der andere auf irgendeine Weise seine Ohnmacht in Macht zu verwandeln trachtete. Nach achteinhalb Minuten trafen sich ihre Blicke für eine Zehntelsekunde, ein Zwischenfall, den Massimo offensichtlich nicht vorgesehen hatte, denn er atmete tief ein und räusperte sich.
«Möchten Sie nicht doch ein Glas Wein?»
«Nein, danke.»
«Sind Sie immer so überkorrekt?»
«Wenn ich überkorrekt wäre, hätte ich den Besuch Ihrer Assistentin nicht erlaubt.»
«Vielleicht haben Sie das getan, um bestimmte Vorteile für sich zu erreichen?» Massimo starrte aus dem Fenster und zeigte Guerrini sein Profil. Er war sorgfältig rasiert und frisiert. In seinem kräftigen Kinn bewegten sich kaum merklich die Muskeln.
«Woraus schließen Sie das?»
«Ich habe es bisher selten erlebt, dass jemand in einer bestimmten Weise handelt, ohne persönlich davon zu profitieren. Mein Vater war Psychiater, er konnte dieses allgemeinmenschliche Verhalten sehr plausibel beschreiben.»
«Bene, dann sollten wir jetzt analysieren, welche Vorteile Sie von dem Tod von Signor Hardenberg haben könnten. D’accordo?» Guerrini ging blitzschnell zum Gegenangriff über.
«Wie Sie wünschen, Commissario.» Da war wieder diese ätzende Ironie, die Guerrini nur schwer ertragen konnte. Er nahm sich zusammen, schloss kurz die Augen und versuchte sich zu konzentrieren.
«Ich nehme an, dass es sich vor allem um berufliche Vorteile handeln dürfte. Hardenberg stellte möglicherweise ein Hindernis dar. Ist es so?»
«Durchaus, Commissario. Hardenberg stellte tatsächlich ein Hindernis dar. Er war auf einmal strikt dagegen, dass seine Bank mit meiner fusioniert, obwohl er ein paar Wochen zuvor noch dafür war. Alle Weichen waren gestellt, und dann kam sein Veto. Hardenberg war unzuverlässig. Das ist keine gute Eigenschaft für einen Banker.»
«Bestand dann nicht genauso die Chance, dass er seine Meinung wieder ändern würde?»
«So laufen Geschäfte nicht, Commissario. In diesen unruhigen Zeiten kann man nicht darauf warten, dass jemand freundlicherweise seine Meinung ändert. Hier geht es um klare, schnelle Entscheidungen. Um Vertrauen.» Massimo sprach lauter, schneidend und plötzlich mit dem näselnden Ton der Mailänder.
«Ja, ja», murmelte Guerrini, «von Vertrauen wird zur Zeit viel geredet, dabei hat es niemand, speziell in Ihrer Branche, vero?»
«Sie haben durchaus recht, Commissario. Aber
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