Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
Deshalb blieb er sitzen, zwang sich zur Ruhe, mobilisierte seinen Sarkasmus und antwortete, ehe Massimo ihn dazu auffordern konnte.
«Ich bin von Ihrer Großzügigkeit beeindruckt, Dottore, und weiß es durchaus zu schätzen, dass Sie mir Bedenkzeit einräumen. Allerdings eigne ich mich nicht besonders gut zum Märtyrer, auch nicht zum Mitmärtyrer. Trotzdem werde ich über Ihr Angebot nachdenken und Ihnen spätestens morgen das Ergebnis mitteilen. Ich bin mir aber schon jetzt sicher, dass unsere Unterhaltung Ihre Lage nicht unbedingt verbessert hat. Danke für den Wein und gute Nacht.»
Tommasini wartete neben dem Dienstwagen und unterhielt sich mit den beiden Carabinieri, die an diesem Abend zu Massimos Bewachung abkommandiert waren.
«Wir fahren noch zu Rieti hinauf!» Etwas in Guerrinis Stimme ließ seinen Kollegen aufhorchen.
Er warf dem Commissario einen prüfenden Blick zu. Als er dessen Gesicht blass und verschlossen fand, wollte er fragen, ob es ihm nicht gutgehe, ließ es aber vorsichtshalber bleiben. Fragen dieser Art konnten bei seinem Vorgesetzten mitunter zu Wutausbrüchen führen.
«Ist nicht nötig, Commissario», sagte er stattdessen. «Ich war schon bei Rieti. Gesehen hat er nichts. Aber er hat mir erzählt, dass heute der Rechtsanwalt von Dottor Massimo und eine Frau bei ihm waren. Rieti selbst hätten sie ziemlich viel Geld gegeben, damit er ja nicht mit irgendwelchen Reportern spricht. Falls die Reporter ihm mehr Geld anbieten würden, dann müsse er den Rechtsanwalt anrufen, und dann würde der die Sache in Ordnung bringen. Es klang ziemlich kompliziert, Commissario. Und ich glaube nicht, dass Rieti besonders helle ist.» In der Hoffnung, auch Guerrini ein Lächeln zu entlocken, grinste Tommasini vor sich hin. Doch der Commissario blieb ernst.
«Rieti hat mir nicht gesagt, wie viel Geld er bekommen hat, aber er hat es genommen, weil man heutzutage nie weiß, wie es weitergeht, und es besser ist, zu nehmen, was man kriegen kann. Vor allem, wenn man dafür nicht mehr tun muss als den Mund halten. Er hat mir das auch nur deshalb erzählt, weil er sich so über das Geld freut und weil ich kein Reporter, sondern ein Polizist bin. Der Rechtsanwalt hätte ihm nicht verboten mit Polizisten zu reden.»
«Interessant», murmelte Guerrini. «Dann können wir ja zurückfahren.»
«Können wir … aber wenn Sie noch mal mit Rieti …»
«Nein, ich will nicht mit Rieti! Ich will nach Hause und in Ruhe nachdenken!»
Mit den Fingerspitzen massierte Tommasini seinen Haaransatz und setzte sich dann hinters Steuer des Dienstwagens. Als der Commissario sich in den Beifahrersitz fallen ließ und mit einem Seufzer zurücklehnte, wagte Tommasini doch noch eine Frage.
«War wohl kein gutes Gespräch, oder?»
«Nein, es war ein Scheißgespräch, eine Schande, una vergogna! Weißt du, was dieser Kerl sich ausgedacht hat? Er will mich erpressen, damit er aus dem Hausarrest entlassen wird! Und er hat es sich verdammt gut ausgedacht, dieser Scheißkerl!»
Guerrini brüllte so laut, dass der Wagen erzitterte und die beiden Carabinieri, die gerade ins Haus gehen wollten, sich erstaunt umwandten. Tommasini ließ den Motor an und gab Gas.
«Was will er? Sie erpressen? Da sehen Sie’s, Commissario! Das ist einer von den Reichen, die sich aufführen, als könnten Sie sich alles erlauben: Leute umbringen, die Polizei erpressen und so weitermachen wie bisher. Ich hoffe, Sie haben’s ihm gegeben, Commissario.»
«Darüber will ich ja gerade nachdenken. Ich hab noch keine genaue Vorstellung, wie ich’s ihm geben könnte.»
«Aber Sie hätten es ihm gleich geben sollen, Commissario! Ihn anbrüllen, dass er vom Stuhl fällt! Von seinem bescheuerten Designerstuhl!» Tommasini schlug mit einer Faust auf das Lenkrad.
«Anbrüllen bewirkt in diesem Fall nichts, Tommasini. Wenn ich jemanden wie Massimo anbrülle, dann zeige ich ihm nur, dass ich schwach bin.»
«Wenn Sie mich anbrüllen, dann kommen Sie mir überhaupt nicht schwach vor, Commissario.»
«Wenn ich dich anbrülle, dann ist es mangelnde emotionale Kontrolle – auch eine Form von Schwäche. Verstehst du mich?»
«Nein.»
«Bene, lassen wir das.»
Eine Weile fuhren sie schweigend dahin. Als sie die Staatsstraße nach Siena erreichten, war es beinahe dunkel. Tommasini dachte fieberhaft darüber nach, auf welche Weise er Guerrini nach dem Gegenstand des Erpressungsversuchs fragen könnte. Aber bis kurz vor Siena fiel ihm keine geeignete Formulierung
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