Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
Weltwirtschaft ins Rutschen, etwas, das zwar alle fürchteten, an das jedoch niemand glaubte, weshalb alle so weitermachten wie zuvor.
Es ist wie mit dem Tod, dachte Massimo. Alle wissen, dass sie sterben müssen, aber niemand glaubt wirklich daran. Ah, was soll’s, er selbst war ebenfalls der Überzeugung, dass es erst alle anderen erwischen würde. Und bisher hatte er recht gehabt. Beruflich wie privat. Und er würde auch diesmal überleben! Immerhin war Hardenberg tot und nicht er selbst. Außerdem konnte sich Hardenbergs Abgang durchaus noch zum Gewinn wandeln, auch wenn es im Augenblick noch nicht so aussah. Allein das Gefühl, ein Stück Kontrolle zurückgewonnen zu haben, erfüllte Massimo mit Zuversicht. Antonella und der Chef seines Sicherheitsdienstes arbeiteten an der Sache, und der Commissario würde sich einer Mitarbeit nicht entziehen können. Falls er mit einem guten Angebot käme, könnte man sich durchaus erkenntlich zeigen.
Eine Weile betrachtete er die überdimensionale Burg der Raubritter Aldobrandeschi, die über ihm aufragte, und ihm kam der erheiternde Gedanke, dass die Palazzi der alten Adeligen und Raubritter – was ja eigentlich dasselbe war – inzwischen von den Banken eingenommen worden waren. Jedenfalls viele von ihnen. Wer würde eines Tages die Paläste der Banken einnehmen? Nein, darüber wollte er gerade jetzt, da er sich wieder besser fühlte, nicht nachdenken.
In Ermangelung eines elektronischen Hilfsmittels zog Massimo einen Schreibblock aus der Schublade und begann, sich Notizen zu machen.
Das Gespräch mit dem Questore verlief anders, als Guerrini erwartet hatte. Zunächst schien er geneigt, den Rücktritt des Commissario von den laufenden Ermittlungen im Fall Massimo anzunehmen. Dann jedoch stand er auf, trat ans Fenster und schaute eine Weile hinaus. Guerrini fiel auf, wie perfekt seine beinahe weißen Haare geschnitten waren und wie gut sein Anzug saß. Endlich drehte der Questore sich zu Guerrini um und schüttelte den Kopf.
«Nein», murmelte er. «Nein, es ist keine gute Lösung, Commissario. Es ist sogar die wahrscheinlich schlechteste Lösung, die ich mir vorstellen kann. Genau so machen wir es immer wieder: den Weg des geringsten Widerstands gehen. Nicht wahr? Und einer wie Massimo hätte wieder mal gewonnen. Sie machen weiter, Guerrini! Die Zustände müssen sich ändern in diesem Land! Wenn wir nicht damit anfangen, wird es nie passieren. Unser Präsident sagt es beinahe jeden Tag, unser Ministerpräsident ebenfalls, aber alle machen weiter wie bisher. Versuchen wir es einmal anders!»
«Ich bin durchaus dafür, es anders zu machen, Questore. Aber ich habe keine Lust, ein paar Jahre lang vom Dienst suspendiert zu werden, weil Massimo irgendwen dafür bezahlt, gegen mich auszusagen. Sie wissen, wie lange sich Verfahren dieser Art hierzulande hinziehen können. Dann wäre ich ein Märtyrer für den Widerstand gegen Reiche und Mächtige. Bene, vielleicht würde irgendwo in einem Bergdorf ein kleiner Platz nach mir benannt. In Siena sind ja schon alle Plätze vergeben.»
Der Questore lächelte auf eine fast unanständige, milde Weise, wie Guerrini fand, die gar nicht zu seinem ziemlich markant geschnittenen Gesicht passte. Dann erwiderte er: «Wir werden schon noch einen kleinen für Sie finden, Commissario. Man könnte ja einen umbenennen. Es gibt sowieso zu viele Vittorio Emanueles, Cavours und Garibaldis. Aber Scherz beiseite: Wie werden Sie weiter vorgehen, Guerrini?»
«Der Staatsanwalt und ich warten auf bestimmte Informationen aus München, die uns hoffentlich ein Stück weiterbringen werden. Das endgültige Ergebnis der forensischen Techniker ist auch noch nicht da. Es bleibt uns im Augenblick nichts anderes, als im Umfeld des Verdächtigen zu ermitteln.»
«Ist es sinnvoll, ihn weiter unter Hausarrest zu stellen?»
«Ja, das halte ich für sehr sinnvoll. Allein schon aus pädagogischen Gründen, denn dieser Massimo ist offensichtlich der Meinung, dass Gesetze für ihn nicht gelten.»
«Auch das ist für uns nichts Ungewöhnliches, oder?»
«Nein, Questore.»
«Meiner Meinung nach sollten Sie sich weder heute noch morgen bei Massimo sehen lassen. Das wird ihn nervös machen, denn ich bin sicher, dass er davon ausgeht, Sie bereits heute als Bittsteller zu sehen.»
«Genau das habe ich vor, Questore. Ich werde ihn einfach warten lassen.»
«Dann viel Glück bei den Ermittlungen. Sie werden es brauchen, Guerrini.»
Der Questore schüttelte Guerrini
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