Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
kräftig die Hand und entließ ihn mit aufmunterndem Lächeln.
Guerrini beschloss, an diesem Tag nichts zu tun. Irgendwo hatte er den Satz eines buddhistischen Meisters gelesen, Nicht-Tun führe mitunter schneller zum Erfolg als Tun, und in diesem Fall erschien ihm so ein Verhalten durchaus sinnvoll. Außerdem entsprach es seiner derzeitigen Verfassung. Vielleicht klärten sich auch seine diversen Traumata durch Nicht-Tun.
Er ging kurz bei Tommasini vorbei, meldete sich ab, versprach D’Annunzio, der ebenfalls Dienst hatte, dass er sein Handy nicht ausschalten würde, und verschwand mit seinem geliebten Lancia, um nicht weiter spezifizierte Ermittlungen durchzuführen.
Er entschied, Richtung Santa Colomba zu fahren, sich unter einen der alten Olivenbäume zu setzen oder ein Stück zu gehen. Inzwischen war es beinahe Mittag, und er stellte sich vor, wie Massimo in seinem Luxusgefängnis unruhig herumlief und angestrengt lauschte, ob sich nicht ein Wagen näherte.
Santa Colomba war nur ein paar Kilometer von Siena entfernt, und Guerrini stellte seinen Lancia außerhalb der kleinen Ansiedlung hinter einem Bauernhof ab. Er mochte diese Gegend mit ihren uralten Gehöften, die weit verstreut zwischen Feldern, Olivenhainen und kleinen Wäldchen lagen. Der Wanderweg nach Assisi lief hier vorbei, und Guerrini folgte ihm, bis er genau den knotigen, breit verwurzelten Olivenbaum gefunden hatte, unter den er sich setzen wollte. An den dunklen Stamm gelehnt, schaute er über das weite Tal und genoss die Stille, die nur einmal durch das Krähen eines Gockels und ein zweites Mal durch das Brummen einer großen schwarzen Hornisse unterbrochen wurde.
Nicht-Tun, dachte Guerrini, Nicht-Tun ist eine wunderbare Sache.
Fünf Minuten später summte sein Handy, und Tommasini meldete, dass einer der Carabinieri von Massimos Landsitz angerufen hätte. Massimo hätte seinem Anwalt aufgetragen, Kontakt mit dem Commissario aufzunehmen.
«Nein», sagte Guerrini.
«Doch!»
«Ich meine nicht dich oder deine Nachricht.»
«Was dann?»
«Ich will jetzt nicht mit Massimos Anwalt reden.»
«Soll ich ihn abwimmeln?»
«Ja.»
«Und was soll ich ihm sagen?»
«Dass er morgen anrufen soll. In der Questura und ja nicht privat!»
«Morgen?»
«Ja, morgen.»
«Bene, ich sag’s ihm. Wo sind Sie denn, Commissario?»
«Auf dem Weg nach Florenz. Melde mich später wieder bei dir. Ciao.» Guerrini steckte das Telefon in seine Jackentasche, lehnte sich wieder an seinen Olivenbaum, schaute in die silbernen Blätter hinauf und dankte dem unbekannten buddhistischen Meister des Nicht-Tuns.
Erst am späten Nachmittag, als die Sonne ihre wärmende Kraft verlor, machte sich Guerrini auf den Heimweg. Er hatte tatsächlich nichts getan und war trotzdem sehr zufrieden. Langweilig war ihm beim Nicht-Tun nicht eine Minute geworden. Er hatte einem Ameisenvolk zugesehen, das seinen Bau reparierte und ungeheure Mengen an Material herbeischleppte. Hatte Wildtauben beobachtet, die zwischen den Bäumen am Boden pickten und bei jedem kleinsten Geräusch aufflogen, um gleich wieder zurückzukehren. Ein Bauer war vorbeigekommen, hatte seinen kleinen Traktor angehalten und eine Weile mit Guerrini über die Krise, die Wildschweinplage und die schlechten Preise für Rindfleisch und Olivenöl gesprochen.
Eine Zeitlang hatte er Fallschirmspringer betrachtet, die in hellen Scharen aus einem Transportflugzeug fielen, am Ende des Tales niederschwebten und verschwanden. Und ziemlich lang hatte er einfach mit geschlossenen Augen unter seinem Baum gesessen und zugehört, was um ihn herum geschah. Irgendwo auf den Höfen bellten Hunde, die Wildtauben gurrten ab und zu, und wenn sie aufflogen, klatschten ihre Flügel aneinander. Insekten sirrten und brummten, Wind rauschte in den Bäumen, wurde manchmal so heftig, dass es wie Meeresbrandung klang. Zwischen all diesen Sinneseindrücken hatte er den zweiten und dritten Anruf Tommasinis angenommen, dem Massimos Anwalt die Hölle heißmachte.
«Bitte, Commissario, reden Sie wenigstens kurz mit ihm! Er will einfach nicht einsehen, dass Sie erst morgen wieder da sind.»
«Nein, wie kann ich mit ihm reden, wenn ich nicht da bin? Während geheimer Ermittlungen rede ich nicht mit Anwälten von Verdächtigen. Ich rede überhaupt mit niemandem.»
«Aber Sie reden mit mir, Commissario.»
«Wenn du noch mal wegen dieses Anwalts anrufst, dann rede ich mit dir auch nicht mehr.»
«Bene, und was soll ich dem Anwalt sagen, wenn er
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