Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
er eine Schale Gebäck aus dem großen alten Küchenschrank geholt hatte.
«Ich habe frische Biscotti di Prato gebacken, du kannst dir auch welche mitnehmen. Es sind genug da. Sie schmecken besser als das trockene Zeug, das man überall kaufen kann!» Ruhig füllte er zwei Gläser mit Vinsanto und stellte sie auf den Tisch.
«Du willst also nicht mit mir reden, eh?»
«Nach dem Essen. Hatten wir das nicht ausgemacht?»
«Wir sind fast fertig.»
«Aber nur fast! Hast du schon mal Biscotti di Prato gemacht, eh? Weißt du, wie viel Arbeit in diesen Keksen steckt? Gib’s zu, du hast keine Ahnung davon. Du machst ja nur wichtige Dinge: Verbrecher jagen, was? Dabei bin ich sicher, dass mindestens jeder zweite Mord zu Recht verübt wird!» Der alte Guerrini sprach so laut und ärgerlich, dass Tonino den Kopf hob, sich mühselig aufrappelte und unsicher wedelnd zu seinem Herrn kam.
«Das ist nicht dein Ernst!», brüllte Guerrini zurück, obwohl er sich vorgenommen hatte, nicht zu brüllen. «Wenn du wütend bist, dann übertreibst du in einer Art und Weise, die völlig absurd ist. Das war schon immer so! Kannst du nicht einfach meine Frage beantworten? Es ist eine ganz simple Frage. Du kannst ja oder nein sagen!»
«Nein, das kann ich nicht. Deine Frage ist eine Unverschämtheit, eine totale Respektlosigkeit!»
«Das beantwortet sie noch immer nicht!»
«Ich werde sie auch nicht beantworten, weil du die Antwort selbst kennst! Jedenfalls wird dir die Antwort einfallen, wenn dir klar wird, dass ich dein Vater bin. Immer war ich für dich da, ich habe dich ernährt, dir gezeigt, wie man Trüffel findet. Ich habe dich studieren lassen, obwohl ich mir gewünscht habe, dass du meinen Keramikhandel übernimmst! Tage- und nächtelang habe ich an deinem Bett gesessen, als dich diese Verbrecher beinahe totgeschossen hätten. Ist das jetzt der Dank dafür, eh?» Erschöpft von der langen, heftigen Rede, ließ Fernando sich auf seinen Stuhl fallen und stürzte den Rest seines Rotweins hinunter.
«Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun, papà! Ich habe dir eine einfache Frage gestellt, und du könntest sie ehrlich beantworten. Seit diese Geschichte mit Colalto und dem illegalen Kunsthandel gelaufen ist, seit du mir ganz harmlos mitgeteilt hast, dass der ehrenwerte Conte deine verdammten Madonnen über Neapel nach Amerika exportiert …»
«Verdammte Madonnen? Hast du verdammte Madonnen gesagt? Della-Robbia-Madonnen nennst du verdammte Madonnen?» Fernando schnaufte wütend.
«Entschuldige, ich meine es nicht so. Aber dass dieser Export über Neapel mit der Camorra zusammenhängen wird, muss auch dir aufgefallen sein. Du hast mitgemacht …»
«Ich habe es nicht gewusst, Madonna mia! Jahrelang habe ich es nicht gewusst!»
«Weil du es nicht wissen wolltest!»
«Vero! Und weißt du auch, warum, du Superpoliziotto? Nein? Dann sag ich es dir: Weil meine Geschäfte zum ersten Mal gut gelaufen sind! Ich hatte nie was mit der Camorra zu tun, habe nie mit einem der Kerle geredet oder einen gesehen!»
«Nur einen der Bosse, was?»
«Welchen Boss?»
«Colalto!»
«Er war ein Freund, ein verlässlicher Geschäftspartner und Freund. Du weißt das genau!»
«Ich mochte ihn nie und seinen Sohn noch weniger.»
«Bist du deshalb Polizist geworden?»
«Nein. Oder vielleicht doch! Ich hab immer gespürt, dass da irgendwas faul ist. Mutter übrigens auch.»
«Lass deine Mutter aus dem Spiel! Wie kommst du ausgerechnet jetzt auf diese alte Geschichte, eh? Willst du mich ärgern, oder was?»
«Es ist keine alte Geschichte! Kannst du dir vorstellen, dass ich bereits zum zweiten Mal mit deiner alten Geschichte erpresst werde? Kannst du das?»
«Wer erpresst dich, eh?» Fernando machte eine so wilde Armbewegung, dass er die Flasche mit Vinsanto umstieß. Ehe sie über die Tischkante fiel, gelang es Guerrini, sie aufzufangen. Mit einem Knall stellte er sie wieder aufrecht.
«Der Erste, der es versucht hat, war Colalto. Er drohte damit, dich hochgehen zu lassen und mich gleich mit, wenn irgendwer ihm ins Geschäft pfuschen würde. Der Fall hat sich von selbst erledigt, wie so viele Fälle hierzulande: Irgendwer, ziemlich weit oben, hat seine Hand über den ehrenwerten Conte gehalten, und damit war die Sache erledigt. Du warst aus dem Schneider und ich auch. Aber ich kann dir eines sagen: Ich habe vor allem deinetwegen nicht weitergemacht. Ich hätte diesen arroganten Mistkerl und seine verrückte Schwester gern im
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