Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
Kindheit an nichts anderes erinnern als an ständiges Krisengerede. Und wahrscheinlich war es vorher genauso. Seit wir eine Republik sind: hundertfünfzig Jahre Krise, Bürgerkrieg, zwei Weltkriege, Terrorismus, hundert Regierungen, der Cavaliere … Wird nie langweilig bei uns, und bisher haben wir alles überstanden. Deshalb: Viva la crisi! Sie wollten ins Hotel Palladio, vero?»
«Vero.»
«Ihr Italienisch ist sehr gut.»
«Weil ich vero gesagt habe?»
«Sie haben vorhin gesagt, dass Sie ins Palladio wollen, und das klang sehr gut. Perfekt klang es.»
«Grazie. Kennen Sie das Palladio?»
«Das war schon wieder gut. Brava! Das Palladio, was soll ich sagen, es ist ein sehr gutes Hotel. Vier Sterne oder so. Keine schlechte Wahl, Signora.»
Er überholte einen Vespafahrer, während ihm ein Lastwagen entgegenkam, machte einen eleganten Schlenker und bog beinahe rechtwinklig in eine Seitengasse ein.
Als sie kurz darauf vor dem Hotel Palladio hielten, war Laura aufrichtig dankbar und gab dem Fahrer ein Trinkgeld von drei Euro, einfach, weil er keinen Unfall gebaut hatte. Er hob ihren Koffer aus dem Wagen und rollte ihn zum Hoteleingang.
«Soll ich Ihr Gepäck hineinbringen, Signora?»
«Nein, danke, das mach ich selbst. Viel Erfolg beim Bewältigen der Krise.»
Fröhlich lachend winkte er und fuhr mit quietschenden Reifen davon. Laura betrachtete die eindrucksvolle Fassade des Palladio mit den bunten Fahnen. Sie blickte die Straße mit den ockerfarbenen Häusern entlang, deren Fensterläden geschlossen und die bis zum ersten Stock leicht verrußt waren vom Straßenverkehr, und war einfach froh, wieder in Florenz zu sein.
Sie musste an ihre Mutter denken, die in dieser Stadt aufgewachsen war, und daran, dass sie Angelo in Florenz zum ersten Mal gesehen hatte.
Er hatte sie vom Flughafen abgeholt, sie zu einem Cappuccino auf der Piazza della Signoria eingeladen und sich für ein Kutschpferd entschuldigt, das genau vor ihrem Tisch seine Äpfel hatte fallen lassen. Sie hatte seine Bernsteinaugen wahrgenommen, das klassische Profil, sein dichtes dunkles Haar. Wenn sie heute daran dachte, war ihr klar, dass sie sich damals sofort in ihn verliebt hatte.
Dreieinhalb Jahre waren inzwischen vergangen, und es kam ihr vor, als hätte sie ihr Leben seither in Intervallen gelebt. Die Zeiten mit Angelo und die Zeiten ohne ihn. Wenn sie ehrlich war, dann liebte sie beides. Vielleicht hatte ihr Vater doch recht mit seinem Vortrag über die Bindungsprobleme der jüngeren Generationen. Und jetzt fürchtete sie sich: vor dem Wiedersehen, vor seiner Distanziertheit, vor seinem Zorn über ihre Nachricht an Tommasini, vor ihrer eigenen Reaktion auf seinen Zorn.
Langsam wandte sie sich um, betrat durch die Drehtür das Hotelfoyer und dachte dankbar an Claudia, die nicht nur den Flug gebucht hatte, sondern auch ein Zimmer im Palladio, nachdem sie herausgefunden hatte, dass sowohl Silvia Hardenberg und ihre Tochter als auch Susanne Ullmann dort abgestiegen waren.
Schnell erledigte sie die Formalitäten, gab ihren Reisepass ab und fragte den jungen Empfangschef ganz beiläufig nach Signora Hardenberg – eine Freundin, die sie hier treffen wolle, aber es handle sich um eine Überraschung, weshalb sie um Stillschweigen bitte. Gott segne meine italienische Mutter, die mir die Gabe der Sprache schenkte, aber das dachte sie nur.
Die Signora und ihre Tochter waren ausgegangen, gemeinsam mit dem deutschen Rechtsanwalt, der ebenfalls hier im Hotel wohnte, informierte sie der Empfangschef. Es hätte ja diesen schrecklichen Unglücksfall gegeben, und nun müssten eine Menge Behördengänge erledigt werden. Ob die Signora Gottberg nichts davon wisse?
«Nein», sagte Laura erstaunt. «Welcher Unglücksfall?»
«Signor Hardenberg … er ist plötzlich gestorben.»
«Das ist ja entsetzlich!»
«Si, terribile, molto terribile!»
«Hatte er einen Unfall?»
«Ich weiß es nicht genau. Ich weiß nur, dass er tot ist. Entschuldigen Sie, dass ich darüber gesprochen habe. Aber ich dachte, wenn Sie gar nichts wissen und dann Signora Hardenberg sehen …»
«Ja, natürlich. Das war sehr umsichtig von Ihnen. Danke.»
Laura nahm ihren Schlüssel und bückte sich gerade nach ihrem Koffer, als der junge Mann am Empfang in gedämpftem Ton «Signora Ullmann» begrüßte und sie fragte, ob er etwas für sie tun könne. Den Griff ihres Trolleys in der Hand, richtete Laura sich auf und betrachtete die blonde Frau, die so unerwartet neben ihr
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