Zeit der Sternschnuppen
Jupitermond.«
»Damit kommen Sie nicht durch, mein Freund. Erzählen Sie dem Chef, Sie wären der Schwager von Napoleon, diese Typen liegen ihm. Es ist eine bodenlose Ungerechtigkeit, die Bettpisser, die dürfen bleiben, Leute, die Geschichte machen, werden verjagt.«
Warum nicht auch dieser Mensch noch, dachte ich verzweifelt, es gehört wohl alles dazu. Draußen trippelten noch immer Schritte hin und her.
»Das ist Schwester Ingrid«, sagte der Erfinder, »die Kleine ist noch neu bei uns. Sie weiß, daß ich hier bin, aber sie geniert sich, mich aus der Toilette herauszuholen. Nun, man ist nicht irgendwer. Wußten Sie, daß ich das ›Gesetz der Intelligenz der Materie‹ entdeckt habe?«
Mir blieb an diesem späten Abend nichts erspart. »Nein, das wußte ich nicht.«
»Ich nenne es auch das ›Gesetz der bedingten Akkommodation‹. Wie alles Bedeutende ist auch dieses Gesetz leicht zu verstehen. Es verhält sich so: Jede Materie verfügt über eine eigene, ihr innewohnende Intelligenz. Sie kann daher bei entsprechender Erfahrung eine substantielle Affinität erhalten, welche sie zum Denken und Handeln befähigt. Begreifen Sie?«
Wenn nur diese Schwester Ingrid vom Korridor verschwinden wollte. Ich wollte unter keinen Umständen gesehen werden.
Der Materie-Darwin fuhr fort: »Nehmen Sie zum Beispiel eine einfache Stecknadel. Sie haben sie für etwas benutzt. Nun fällt sie Ihnen herunter. In neun von zehn Fällen bleibt sie unsichtbar. Sie springt in irgendwelche dunklen Ecken – warum? Warum bleibt sie nicht einmal sichtbar in der Mitte des Zimmers liegen? Ganz einfach: Weil sie nicht blöd ist. Oder denken Sie an die Manschettenknöpfe. Einer fällt Ihnen herunter. Haben Sie jemals erlebt, daß er sichtbar vor Ihren Füßen liegenbleibt? Nein, Manschettenknöpfe rollen stets unter Schränke oder Tische. Manchmal verschwinden sie ganz. Mir fiel neulich ein Feuerstein ‘runter. Ich spürte ihn deutlich auf meinem Fuß. Wissen Sie, wo ich ihn drei Tage später wiederfand? Unter meiner Matratze. Das nenne ich die ›Intelligenz der Materie‹ oder auch ›Gesetz der bedingten Akkommodation‹.«
Draußen war es still geworden. Ich öffnete die Tür. Der Korridor war leer.
»Wollen Sie schon gehen? So bleiben Sie doch, Schwester Ingrid drückt bestimmt ein Auge zu…« Als ich schon ein paar Schritte entfernt war, rief er mir nach: »Kommen Sie morgen um diese Zeit wieder. Wir besprechen dann Ihre Reise zum Saturn…«
Ich hatte Angst, er könnte mir folgen, rannte zurück und hätte mich am liebsten eingeschlossen. Die Aussichten, aus diesem Gebäude herauszukommen, waren nicht sehr erfolgversprechend.
Am Mittwoch wartete ich in nervöser Spannung auf Johanna. Es wurde Nachmittag, die Besuchszeit ging zu Ende. Sie kam nicht. Ich konnte sie auch nicht anrufen, denn Dr. Kallweit hatte keinen Dienst, und die andern Ärzte hielten sich streng an die Vorschriften. Weltuntergangsstimmung bemächtigte sich meiner. Wieder überprüfte ich die Gitter am Fenster. Die Nachtschwester kam, ermahnte mich, ins Bett zu gehen. Ich kroch gehorsam unter die Decke, dachte: Wie war das nur, als Fritzchen mir die Kartoffelreibe und das Schreibmaterial besorgte? Hatte er nicht was von Dematerialisation gefaselt? Eigentlich könnte Me ihn auch auf diese Weise hierher befördern…
Tags darauf beehrte mich der Professor zum zweiten Male mit seiner Visite. Er hielt sich nicht lange auf, stellte ein paar Routinefragen. Meine Bemerkung, daß ich einen Tag Urlaub brauche, um wichtige Angelegenheiten zu regeln, beachtete er nicht. Ich wartete das Ende der Visite ab, begab mich dann zu Dr. Kallweit.
Er zeigte Verständnis für meine Unruhe und erlaubte mir, seinen Apparat zu benutzen. Zwei Minuten lang ließ ich es läuten, Johanna meldete sich nicht. Was war vorgefallen? Kallweit versuchte mich zu trösten, meinte, sie sei wahrscheinlich einkaufen, ich sollte es nicht dramatisieren.
»Dramatisieren!« rief ich. »Und was war gestern? Warum ist sie nicht gekommen? Ich kenne doch meine Frau, Doktor, das ist nicht ihre Art. Sie hält, was sie verspricht. Außerdem hätte sie hier anrufen können. Es muß was passiert sein. Könnten Sie mir nicht wenigstens einen halben Tag Urlaub geben?«
»Das kann nur der Chef, fragen Sie ihn«, sagte Kallweit. »Ich finde es hübsch, daß Sie so sehr um Ihre Frau besorgt sind. Aber beruhigen Sie sich, wäre Ihrer Gattin etwas Ernsthaftes zugestoßen, hätte man uns davon in Kenntnis gesetzt. Rufen Sie
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