Zeit der Sternschnuppen
abermals versetzen, machte mich zu einem Nervenbündel. Ich hatte einen Brief an Aul geschrieben, das Kuvert zusätzlich mit Papierstreifen verklebt. O Me, verleihe meinen Worten die Überzeugungskraft aller Propheten der Vergangenheit! Wenn meine Frau mir meinen Wunsch erfüllte, war ich gerettet. Vom Küchenfenster aus konnte sie das Landemanöver ohne Schwierigkeiten beobachten.
Unten, im Parterre, wurde es laut. Die ersten Besucher kamen. Mit der Geduld einer Katze, die vor einem Mauseloch sitzt, wartete ich an der Flügeltür. Dann sah ich ihre Pelzmütze und ihren schwarzen Pelzmantel. Sie ging die Treppe zögernd, mit der begreiflichen Scheu eines normalen Menschen hinauf.
Vieles, was ich in diesen Tagen und Stunden tat, dachte oder sogar aussprach, wäre mir in früheren Zeiten nicht in den Sinn gekommen. Ungewöhnliche Ereignisse lassen sich nun einmal nicht mit normalen Maßstäben messen. Mein Denken paßte sich der gegebenen Situation an, ich verhielt mich so, wie meine Umgebung es mir aufzwang.
Johanna saß mir gegenüber, vermochte ihre Verlegenheit nur schwer zu kaschieren; sie war keine gute Schauspielerin. Kein Wort über den Grund meines unfreiwilligen Aufenthaltes, obwohl sie mir versicherte, daß ich ausgeruht und erholt aussähe, Floskeln über das Wetter – worüber hätte sie auch mit mir reden sollen? Einen Gemütskranken darf man nicht aufregen.
Ich hielt es nicht mehr aus. »Hör zu, Hanni«, sagte ich fast grob, »ich kann dich nicht daran hindern, mich für meschugge zu halten. Und wenn ich mein ganzes Leben hier verbringen müßte, ich denke nicht daran, mich selbst zu belügen. Warum hast du so übereilt gehandelt? War ich aggressiv? Nein. Ich hatte mich auf dich gefreut, aber du hattest nichts Eiligeres zu tun, als mich in die Klapsmühle bringen zu lassen.« Mein Vorsatz, mich nicht zu ereifern, war vergessen.
»Bitte, sprich nicht so«, flehte sie, »es ist nicht wahr, ich habe dich nicht für…« Sie scheute sich, das Wort auszusprechen. »Als du in der Silvesternacht nach Hause kamst, warst du wirklich krank, Hans. Auch der Herr von der Polizei meinte, es sei besser, wenn du dich in ärztliche Behandlung begibst…«
Der »Herr von der Polizei« – ausgerechnet Eichstätt, auf den ich all meine Hoffnungen gesetzt hatte. Er hätte die Diebe ausfindig machen und den Beweis erbringen können. Ich nahm mich zusammen, dachte an den Brief im Nachtschrank. Um Mitternacht wollte Fritzchen landen. Wie konnte ich meine Frau überreden, auf Manik Maya zu übernachten? Und wenn es mir gelänge – würde sie den Mut finden, zum Transporter zu gehen? Sie wird es ablehnen, dachte ich, sie wird in meinem Anliegen nur eine Bestätigung für meine »Krankheit« erblicken. Es ist sinnlos…
Johanna nahm meine Hand und sagte fürsorglich: »Ich habe mit dem Professor gesprochen, Hans. Er meint, du brauchtest nur etwas Ruhe. Du warst einfach überarbeitet.«
»Natürlich, ich war einfach überarbeitet«, erwiderte ich verstimmt. »Nun genieße ich die Privatfürsorge des Herrn Professors. Ein teurer Spaß, mein Ruhebedürfnis; unsere letzten Ersparnisse werden dabei draufgehen.«
Darüber sollte ich mir nicht den Kopf zerbrechen, meinte sie und erzählte von der Renovierung unserer Wohnung, für die sie Maler bestellt habe, von einem Nachbarn, der gestorben sei, und anderen Belanglosigkeiten, die mich nicht interessierten. Wenn alles schiefgeht und ich einmal hier rauskomme, werde ich das Fernrohr verkaufen, überlegte ich. Ich werde mich zwingen, alles zu vergessen. Nur diesen einen, letzten Versuch noch. »Mir wurde damals wirklich etwas gestohlen, Hanni«, flüsterte ich beschwörend. »Glaub mir, ich weiß genau, was ich sage. Wäre der Sender wiedergefunden worden, säße ich jetzt nicht hier. Einen Beweis hätte ich noch, aber den könnte ich nur erbringen, wenn ich in der Nacht vom Sonntag zum Montag auf Manik Maya wäre…«
Sie blickte mich forschend an.
Nie wird sie auf meinen Vorschlag eingehen… Vielleicht kam Fritzchen auch gar nicht. Me hatte mein Schweigen möglicherweise als Absage ausgelegt. Johannas Blick irritierte mich. Sie ist noch genauso schön wie an dem Tag, als wir uns kennenlernten, dachte ich. Trotz meines Kummers hätte ich meine Frau jetzt am liebsten umarmt. Doch ich scheute mich, in diesem Raum und hinter ihrem Verdacht meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Unvermittelt fragte ich: »Weißt du eigentlich noch, wie wir uns kennengelernt haben,
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