Zeit der Sternschnuppen
Hanni?«
Über ihr Gesicht huschte ein flüchtiges Lächeln. »In deiner Junggesellenwohnung. Du hattest Geburtstag, und ich war gar nicht eingeladen.«
»Horst hatte dich mitgebracht. Ich dachte damals: Wie kommt dieser häßliche Vogel zu einem so hübschen Mädchen. Später, es war schon gegen Mitternacht, gingst du zum Plattenschrank. Ich war gespannt, welche Platte du heraussuchen würdest. Du legtest Schubert auf…«
»Schumann.«
»Oder Schumann, kann sein. Ich hatte ja nur Augen für dich… Daran hat sich bis heute nichts geändert…«
Wieder drückte sie meine Hand. »Du bist bald gesund, Hans, dann wird alles wieder so sein wie früher…«
Ihr Mitgefühl tat weh. Ich stand auf, nahm den Brief aus dem Nachtschrank. Das Kuvert hatte ich nicht adressiert.
»Ein Brief für mich?« fragte sie überrascht.
»Nein, Hanni, für Freunde. Würdest du mir eine Bitte erfüllen? Es wäre für uns beide von großer Wichtigkeit, wenn du diesen Brief weiterleiten könntest. Du möchtest doch Klarheit über meine Abwesenheit haben…«
»Was soll ich tun?« fragte sie ruhig.
Ich bemühte mich, unbefangen und ruhig zu sprechen. »Ich erwähnte bereits, daß es noch einen Beweis gibt. Ich möchte, daß du morgen nachmittag nach Manik Maya fährst und dort bis nach Mitternacht bleibst. Am späten Abend wird auf der Wiese ein Transporter landen, eine Art Hubschrauber. Du sollst nur hingehen und diesen Brief übergeben, weiter nichts. Bitte, Hanni, erfülle mir diesen Wunsch. Hinter dem Ofen in der Bauernstube ist etwas Holz gestapelt, du kannst es dir warm machen…«
Einen Augenblick zögerte sie. Dann nahm sie den Brief und steckte ihn in die Handtasche. »Wenn dir so viel daran liegt, werde ich dir den Gefallen tun.«
Ich war überrascht und erfreut, daß sie keine Fragen stellte, empfand ihre Zustimmung wie eine Erlösung. »Du wirst den Weg nicht bereuen, Hanni«, versicherte ich, »dieser Brief wird alle Mißverständnisse beseitigen. In zwei, drei Tagen müssen sie mich entlassen. Rufe mich Montag früh gleich an…«
»Gut«, sagte sie, »ich will alles tun, um dir zu helfen.«
»Danke, Hanni. Und bitte kein Wort anderen gegenüber. Die Angelegenheit soll vorerst unter uns bleiben.«
Sie versprach es. Im Überschwang meiner Freude drückte ich meine Frau an mich und küßte sie. Zwei Tage noch. Der Anblick des Transporters mußte sie endgültig überzeugen.
Als die Schwester das Ende der Besuchszeit ankündigte, empfand ich das beseligende Gefühl, vor einem neuen, wunderbaren Anfang meines Lebens zu stehen.
Zum ersten Male schluckte ich dankbar die Beruhigungstabletten, die mir Schwester Hildegard aushändigte. Es gelang mir, in den beiden Nächten leidlich zu schlafen und am Sonntag mit einiger Gelassenheit dem dramatischen Wendepunkt entgegenzusehen.
Montag früh war ich um sechs Uhr hellwach, nahm erneut Tabletten. Um diese Zeit fuhr der erste Bus in die Stadt. Gegen acht Uhr erwartete ich ihren Anruf. Es wurde neun, zehn Uhr. Professor Grasmais kam zur Visite. Er erkundigte sich angelegentlich nach meinem Befinden. Meine Beteuerung, daß es mir ausgezeichnet ging, nahm er befriedigt zur Kenntnis, meinte jedoch, daß der Nervus sympathicus noch einer gewissen Erholung bedürfe. Ich dachte an Johanna; sie hätte längst anrufen müssen.
Der Montag verging in schrecklicher Ungewißheit. Sie rief nicht an. Ich schluckte Tabletten, nippte nur an der Mittagsmahlzeit und stellte die verrücktesten Spekulationen an. In der Nacht wurde ich zweimal von Alpträumen aus dem Schlaf geschreckt. Ich hatte geträumt, meine Frau sei statt meiner in den Transporter gestiegen und zum sechsten Mond geflogen. Auch am andern Tag meldete sich Johanna nicht. Ich benutzte Dr. Kallweits Telefon, rief meine Frau an. Sie war nicht zu Hause. Ein Telegramm, das ich ihr am späten Nachmittag schickte, blieb unbeantwortet. Zum ersten Male hatte ich das Gefühl, wirklich krank zu werden.
Endlich, vier Tage nach ihrem Besuch, brachte mir die Schwester einen Brief. Zitternd vor Aufregung las ich den Absender. Der Brief kam von Theo. Er schrieb:
»Hans, alter Schwerenöter! Was machst Du für Geschichten? Junge, Du hast uns vielleicht in Aufregung versetzt. Aber das Tollste war die Silvesternacht. Ich war einfach überwältigt, als die Jungen mir den schon betrauerten Waldi zurückbrachten. Der arme Kerl war halb verhungert, fraß gleich drei Koteletts. Hättest mir wirklich eine Karte schreiben können. Du weißt doch, daß ich verschwiegen
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