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Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Ziergiebel
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Wirbelsäule und ein EKG. Jetzt beschäftigte mich Dr. Kaliweit mit einem Geschicklichkeitsspiel, das mich an einen Kindergarten erinnerte.
    Dr. Kallweit war ein junger Arzt, klein, mit einer Bürstenfrisur und einem sympathischen Wohlklang in der Stimme. Es amüsierte ihn, als ich ihm zwischendurch etwas über den sechsten Mond und über Aul erzählte. Ich war in guter Stimmung, denn die Schwester hatte mir meine Kleidung gebracht. Kallweit wollte wissen, wie das Sternenmädchen aussähe.
    Ich beschrieb Aul in genüßlicher Erinnerung. »Mit einem Wort, Doktor«, beendete ich ihr Porträt, »sie sieht aus wie Schneewittchen. Wenn sie hier wäre und Gitarre spielen könnte, würde sich jeder Beatklub um sie reißen.«
    »Sie lieben Aul natürlich sehr…«
»Darauf möchte ich Ihnen keine Antwort geben. Aber sie ist nicht nur bezaubernd schön, sondern auch überdurchschnittlich
    intelligent. Sie müssen zugeben, daß so etwas selten ist.« Schmunzelnd erwiderte er: »Wenn man in der fünften
Dimension lebt, ist das sicher nicht ungewöhnlich. Oder war es
vielleicht nur die fünfte Illusion?«
»Sehr witzig«, knurrte ich.
Er versuchte meine Phantasie zu ergründen, um Schlüsse
daraus zu ziehen, erkundigte sich nach meinen Träumen. Als
ich versicherte, traumlos zu schlafen, legte er mir ein Papier
mit Tintenklecksen vor, die ich deuten sollte. Mir kam es vor,
als wären diese Kleckse für mich etwas manipuliert worden,
denn ich hätte ohne Schwierigkeiten ein Raumschiff und
Planeten herausdeuten können. Ich sagte: »Eine hübsche
Graphik, gegenständlich, erspart einem das Denken. Ohne
überheblich zu sein, ich habe schon Besseres zu Papier
gebracht. Also hier hätten wir eine Nähmaschine, dieser Klecks
könnte ein Elefant sein, und hier sehe ich einen
Fernsehapparat…«
Kallweit sah mich mißtrauisch an. Unzufrieden brummte er:
»Eine ungewöhnliche Phantasie. Ich würde hier eine Frau, dort
ein Raumschiff und hier einen Stern sehen.«
»Man sieht immer das, was man sich wünscht«, erwiderte ich
gelassen. »Wenn Sie jedoch Wert darauf legen, schließe ich
mich gern Ihrer Feststellung an.«
Er beugte sich plötzlich zu mir herüber und sagte mit
gesenkter Stimme: »Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben
darf: Bleiben Sie bei der Masche mit dem sechsten Mond.« Ich sah ihn verdutzt an. Was sollte dies nun wieder? Ein
neuer Trick? Um seine Lippen spielte ein ironisches Lächeln.
»Das müssen Sie mir näher erläutern, Doktor. Was meinen Sie
mit ›Masche‹?«
Einen Augenblick zögerte er, dann erklärte er
augenzwinkernd: »Sie wissen genau, was ich meine.« Ich hob die Schultern, machte ein ratloses Gesicht, dachte:
Sollte er dich am Ende für normal halten? Dann muß mit ihm
etwas nicht in Ordnung sein…
»Ich will Ihnen meine Ansicht offen sagen.« Dr. Kaliweit
erhob sich, ging, ohne mich aus den Augen zu lassen, ein paar
Schritte auf und ab. »Ich kenne Ihre Geschichte von A bis Z, es
existiert nämlich eine Tonbandaufnahme.« (Dachte ich es mir
doch!) »Sie haben sich jedes Wort aus den Fingern gesogen.
Die Gründe liegen auf der Hand, aber mich gehen Ihre
amourösen Abenteuer nichts an. Ich hätte Sie nicht
aufgenommen, auch nicht in der Luxusklasse. Jedenfalls ein
teurer Spaß, Ihre Liebschaft. Ich verstehe den Chef nicht, er
scheint einen Narren an Ihnen gefressen zu haben, und der
Oberarzt unterstützt ihn darin…«
»Augenblick, Doktor, nicht so hektisch und sprunghaft«,
unterbrach ich ihn, »erstens glaubt mir Ihr Chef genausowenig
wie Sie, und zweitens – warum sollte ich mir eine solche
Geschichte ausdenken?«
»Natürlich, diesen Unsinn nimmt Ihnen der Chef auch nicht
ab, aber er verbindet Ihr Gerede mit Ihrem Hobby und deutet es
als einen speziellen Fall von Schizophrenie. Wenn man so an
die Sache herangeht, gibt es überhaupt keine normalen
Menschen mehr. Ich sehe die Angelegenheit anders. Mich
geht’s nichts an, wenn Sie sich den Luxus leisten können –
erholen werden Sie sich bei uns. Mir würde allerdings diese
Umgebung nicht sehr behagen…«
»Das ist phantastisch«, sagte ich, »der erste Mensch, der mich
wenigstens nicht für verrückt hält.«
»Für verrückt im Sinne dieses Wortes hält Sie hier niemand«,
erklärte Kaliweit, »nur für etwas durchgedreht. Übrigens geht
aus dem Test hervor, daß Sie gern das Gegenteil von dem
sagen, was Sie wirklich denken. Kein Raumschiff, sondern ein
Elefant und so weiter. Vermutlich ist die von Ihnen so sehr
verehrte Dame auch nicht

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