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Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Ziergiebel
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schwarzhaarig wie Schneewittchen,
sondern ist wahrscheinlich – verzeihen Sie die Formulierung –
eine blonde Rapunzel.«
»War Rapunzel blond?«
»Ich glaube.«
»Sie sollten Kriminalbeamter werden, Doktor, Sie hätten mir
wahrscheinlich mein Sendegerät zurückgebracht. Ich begreife
nur immer noch nicht, weshalb ich bei der ›Masche‹ bleiben
soll, wenn Sie alles so klar sehen.«
»Erstens, weil Sie der Chef früher oder später ›rauswerfen‹
wird. Er ist zwar von der alten Schule, aber auf die Dauer läßt
er sich auch nicht täuschen. Zweitens sind bei uns die Betten
knapp, es gibt genügend echte Kranke. Wenn Sie also bei
Ihrem hübschen Märchen bleiben, wird der Chef Ihnen
Gedächtnisschwund zubilligen, dann haben Sie erreicht, was
Sie wollten. Niemand verlangt mehr einen Nachweis über die
fünfeinhalb Monate, und Ihre Angebetete darf das Inkognito
bewahren.«
»Ich gratuliere«, sagte ich ohne Ironie, »Sie beobachten sehr
aufmerksam. Ihre scharfsinnigen Schlußfolgerungen wären ein
ungetrübtes Vergnügen, wenn sie nicht einen kleinen Fehler
enthielten. Kurzum, mein hübsches Märchen ist die reine
Wahrheit. Ich bin Ihnen trotzdem dankbar, daß Sie diese
Deutung gefunden haben. Dabei kennen Sie noch längst nicht
alles, denn es gibt Erlebnisse, die sich mit Worten nur andeuten
lassen.«
»Was haben Sie eigentlich für ein Fernrohr?« wechselte
Kallweit das Thema.
»Linsenfernrohr, achtzig Millimeter.«
»Das läßt sich hören«, meinte er anerkennend, »ich besitze
nur einen Feldstecher, zehn mal fünfzig.«
»Jedes Fernrohr hat seinen Himmel«, zitierte ich, »demnach
sind Sie also der Kollege mit dem gleichen Hobby, von dem
der Professor sprach? Angeblich beobachten Sie mit Ihrem
Feldstecher sogar den Pluto.«
Kallweit lachte. »Hobby ist vielleicht zuviel gesagt, mir fehlt
die Zeit. Im Urlaub habe ich das Glas bei mir.«
Der junge Arzt wurde mir immer sympathischer. Es tat mir
leid, daß ich auch ihm den Beweis schuldig bleiben mußte. Es
reizte mich, an ihm einen Test auszuprobieren. Ich sagte:
»Stellen Sie sich vor, Doktor, Sie beobachten während Ihres
Urlaubs eines Nachts mit Ihrem Feldstecher einen großen
Diskus, der auf einer Wiese oder Waldlichtung niedergeht. Sie
überzeugen sich, daß es sich um einen außerirdischen Vorgang
handelt – was würden Sie tun? Wie würden Sie Ihre
Beobachtung Ihren Mitmenschen klarmachen?«
Er überlegte. »Ich glaube, da brauchte ich niemandem etwas
klarmachen. Kein Flugkörper könnte unbemerkt auf der Erde
landen, und was ich sähe, würden andere auch sehen.« »Eine außerirdische Intelligenz könnte sich vermutlich gegen
Radar schützen. Ich wiederhole: Sie haben als einziger Mensch
diesen Flugkörper beobachtet…«
Um seine Mundwinkel zuckte es wieder. »Selbst wenn Sie
nun auch mich einen freudschen Erztrottel nennen, Herr
Weyden, ich würde in diesem Fall vermutlich meiner eigenen
Wahrnehmung nicht trauen. Das ist eben das Paradoxe an Ihrer
Geschichte, sie paßt nicht zu den Erfahrungswerten, die wir in
uns gespeichert haben. Niemand käme zum Beispiel auf den
Gedanken, sich die vierte oder fünfte Dimension vorstellen zu
wollen. Sie ist nicht vorstellbar. Kirschen blühen im Frühling.
Behauptet jemand, er habe Kirschbäume bei minus vierzig
Grad blühen sehen, würden wir ihn einen Lügner nennen.
Natürlich kann man sich in etwas bis zur Hysterie
hineinsteigern. Wir haben auf Station drei so einen Typ. Der
Mann hält sich für einen Erfinder, er schreibt jede Woche
herzzerreißende Briefe ans Patentamt…«
Das Telefon läutete. Kaliweit nahm den Hörer ab und meldete
sich. Die Stimme seines Gesprächspartners war deutlich zu
verstehen, der Doktor wurde zu einem Patienten gerufen. Als
er aufgelegt hatte, fragte er: »Ehe ich es vergesse, wir führen
hier Kurse für Autosuggestion durch. Hätten Sie Lust, an
einem solchen Kursus teilzunehmen?«
»Nein«, sagte ich, »Sie wissen ja, ich simuliere nur…« »Wie Sie wollen. Haben Sie noch Fragen?«
»Würden Sie mir erlauben, meine Frau anzurufen?« Er schob
mir den Apparat hin. »Reden Sie bitte nicht darüber, der Chef
sieht es nicht gern.« Er blieb im Zimmer, während ich unsere
Telefonnummer wählte.
Johannas Stimme klang etwas verlegen, als ich sie begrüßt
hatte. Sie erkundigte sich nach meinem Befinden. Ich machte
ihr Vorwürfe, weil sie meinetwegen so viel Geld ausgab. Über
unsere Auseinandersetzung in der Silvesternacht fiel kein Wort. Schließlich sagte sie mir ihren Besuch für

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